Beatrice Coran

Viele Künstler, internationale und bekannte, Musiker, Schauspieler, stammen aus Solingen. Und sie wurden deshalb bekannt und groß, weil sie aus Solingen weggingen. Denn in dieser Stadt ist noch kein einziger etwas "Großes" geworden – wo und wie sollte sie, er auch? Es gibt ein Theater, aber kein Ensemble. Es gibt ein früheres Solinger, heute (zusammen mit Remscheid) Bergisches Symphonie-Orchester, das phantastisch spielt, aber in Konkurrenz mit etlichen gleich starken Ensembles steht – Köln, Düsseldorf, "Ruhrpott", das ist eben eine mächtige, dichte Szene. Also bleibt Solingen ein wenig Laienspiel, ein paar exzentrische, deshalb nicht minder qualitative Separatisten in der Kunst- und Kultur-Szene (woanders würde man "off broadway" sagen) – und eben die Erinnerung daran, dass etliche "da draußen in der Welt" zumindest ein wenig Glamour aus Solingen hinaus, besser gesagt aber, allein durch die Erinnerung daran, dass sie hier geboren sind, in die Klingenstadt wieder hinein tragen. Eine dieser "Solinger in der Fremde": Beatrice Coran. In Hannover seit Jahrzehnten ein Urgestein der Theaterszene, hier in ihrer Geburtsstadt Solingen völlig unbekannt. Vergessen. Allein, irgendwie war es auch ihr Wunsch.

 

Das Schöne an der Zukunft ist, man kennt sie nicht – aber jemand scheint schon zu ahnen, was sie einst vorhaben wird, der Blick verrät es. Links unten Waltraud Ronnenbach, rechts daneben ihre Cousine Marianne Jansen, deren Mutter eine geborene Ronnenbach ist. Die stolzen Großeltern der beiden "Gören" und zwischen ihnen ihre Schwiegertochter Friedchen, Mutter von Waltraut, die dereinst unter ganz anderem Namen arbeiten, bekannt werden und leben würde, nämlich als ...


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Beatrice Coran

Ist schon verblüffend, wie sehr Kind und "grande dame" identisch sind, der gleiche Blick ins Nichts oder durch alles hindurch, wer weiß. Und dieses vielsagende Mona-Lisa-Lächeln ... ein wenig rätselhaft. Aber wenn man ganz genau hinschaut, hat sie es von ihrer Oma geerbt, Maria, geb. Richartz, aus Dorp

Und noch ein Talent wird sie geerbt, "in die Wiege gelegt bekommen" haben: ihr Vater war Kapellmeister, ein Vollblut-Musiker, der sich der Unterhaltungsmusik verschrieben hatte. Er tourte durch Bäder in ganz Deutschland, im Krieg teilte er das Schicksal mit vielen Künstlern und musste zur "Unterhaltung der Truppe" beitragen. Freiwillig tat dies seine Tochter mit der "Truppe der Zuschauer", den Zivilisten, dem Publikum mit nicht endender Wort- und Spiel-Lust über Jahrzehnte.


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oben: um 1939/40
links: 1953

Betrice Coran stand am 7. Februar 1953 zum ersten Mal in einer große Rolle auf der Theaterbühne, als Lady Karrigan in Towarisch, spielte in Shaws Pygmalion, aber auch in Schneewittchen, in Helena oder die Lust zu leben, in der deutschen Uraufführung von Feinde schicken keine Blumen, in Schloss Gripsholm, Charleys Tante – ach, in vielen, vielen Boulevard-Stücken, zuweilen Märchen-Aufführungen und in den unterschiedlichsten,  was man so gerne im Genre ernsten Rollen nennt, in klassischen Stücken. Sie mochte und praktizierte Kabarett, war für die große Geste auf der großen Bühne ebenso gut und eindrucksvoll wie eine Schauspielerin, die immer wieder das "Theater pur" suchte, in kleinen Ensembles, auf Bühnen, die nicht vom Publikum trennen, sondern Illusionen zum Anfassen lebendig machen.

Ihr Lebensmittelpunkt und die feste Basis ihres künstlerischen Schaffens ist seit 1939 Hannover geworden und bis zum heutigen Tag geblieben. So richtig "sesshaft" war sie allerdings nie: sie zog insgesamt 27 mal um. Zigeunerblut !


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Die Karriere begann "in den Not- und Hungerjahren der Nachkriegszeit" im literarischen Kabarett "Satansbrüder", in Hannovers Nachtlokal "Ulenspiegel" mit dem Programm "Faust aufs Auge". Sie debuttierte mit Chancons, sehr erfolgreich – und blieb dieser Liebe treu.

Es war die Zeit, da Ansager noch Ansager, allenfalls Conférencier hießen, noch lange nicht Moderator, und vor allem Männer waren. Frauen am Mikrofon – welch eine Revolution. Die durften damals allenfalls singen, tanzen, und immer hübsch lächeln – als Mannequin. Der Begriff Model war noch gänzlich unbekannt.

 

Doch "Die Coran" war schon beides: sowohl Mannequin als auch die Frau für die richtigen, schlagfertigen Worte – und Diseuse, Chanson-Sängerin. Sie tourte durchs Land, als ein Petticoat noch der Inbegriff der großen Mode war oder gerade erst wurde. Als Eleganz noch Stil und Außergewöhnlichkeit meinte und nicht Schmuddel- und easy-washing-Look oder Gammelklamotten. Als es Frauen noch nicht als Diskrimierung, sondern als Ehre verstanden, "sich schön zu machen" – und es überdies nur allzu gern taten. Freiwillig.

Von der Schauspielerei alleine konnten Schauspieler schon immer nicht unbedingt leben, und solche Jobs, "Mucken", heute nennt man sie "Gigs", dieses "Tingeln" war wichtig, um sich bekannt zu machen oder in Erinnerung zu halten. Und das Geld zu verdienen, um sich wieder ambitioniertes Theater erlauben zu können.
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Schauspielerin – und Chansonette. In dieser Kombination lag die Stärke von Beatrice Coran. Und beides geht zurück auf die Wurzel der überzeugenden Ausdruckskraft, der Hingabe an die Rolle und die feste Überzeugung, dass ein Publikum ein Recht darauf hat, mit dem besten bedient zu werden, was Künstler zu leisten vermögen. Ein Jeder Abend, ein jeder Auftritt ist eine Premiere und ein jedes Spiel, ein jedes Lied hat so zu sein, als sänge und spielte man um eine hohe Auszeichnung – eben voller Hingabe und "mit jeder Faser des Körpers", versunken in die Magie, Illusionen erzeugen und Gefühle wecken zu können. Das Spiel mit den Worten ist immer auch ein Spiel mit den Reaktionen der Zuschauer, ein jedes Publikum reagiert auf eigene Art und Weise auf die Aura, die von einer Künstlerin ausgeht, die es liebt, nicht nur literarische Personen zu spielen, darzustellen, sondern sie in dem Moment der Aufführung auch zu sein. Und Lieder, ach Musik kommt immer aus der Seele, dem Herzen, dem Innern – nur wer den Mut hat, dieses eigentliche Ich zu offenbaren, wird auch die Seelen der Zuhörer wirklich erreichen. Beatrice Coran war Meisterin darin.

Solche Jubiläen sind nicht gerade an der Tagesordnung, sie im Kreis von Freunden und Bewunderern feiern zu können, erst recht nicht. Zum Schluss ihrer künstlerischen Karriere war es vor allem die Rolle der Golde in Anatevka, die ihr ans Herz gewachsen war – und auch ein wenig "wie auf den Leib geschrieben". Ihrem bis heute nicht erloschenen leicht ironischen Sarkasmus, der ihr persönlicher "rauher Kern" des durch und durch zugleich geistvollen wie schwärmerischen Inneren ist, kommt die Bühnenfigur Golde recht nahe. Vor allem im großartigen Duett (gekürzt):

Tevje: Golde, liebst du mich? Was fühlst du eigentlich für mich, ha?
Golde: Ist es was?
Tevje: Ist es Liebe?
Golde: Ist es Liebe? - Bei fünf heiratsfähigen Töchtern fragt man doch nicht solchen Quatsch! Du bist krank! Geh ins Haus! Leg dich hin! Ruh dich aus! Mach schon, was ich dir sage!
Tevje: Golde, hör zu, was ich dich frage: Ist es Liebe?
Golde: Ach, lass das sein.
Tevje: Oh nein, sag! Ist es Liebe?
Golde: Ist es Liebe?
Tevje: Nun?
Golde: Seit fünfundzwanzig Jahren wasche ich, koche ich, putze ich, gab dir fünf Töchter, melk die Kuh. - Nach fünfundzwanzig Jahren lass mich damit in Ruh!
Tevje: Unsre Mütter, unsre Väter, sagten: Liebe kommt erst später! Sag, liebst du mich denn, Golde? Ist es Liebe?
Golde: Ach, sei jetzt still!
Golde: Seit fünfundzwanzig Jahren leb` ich mit ihm, lach mit ihm, wein mit ihm. Seit fünfundzwanzig Jahren ist sein Bett mein. - Das muss ja Liebe sein!
Tevje: Oh Weib du liebst mich!
Golde: Ich glaub, dass ich`s tu! Tevje: Ich lieb dich Golde - immerzu!
Tevje, Golde: Man wußte voneinander nicht Bescheid. Doch nach fünfundzwanzig Jahr`n - wird`s endlich Zeit.

Bleibt noch, eine Kostprobe der selbstironischen, geistvollen Art "der" Coran zu geben, die gerne mit der Verblüffung kokettiert, wenn es um ihr Alter geht, denn an Vitalität und Ausstrahlung hat sie nicht verloren "Ich geh stark auf die 100 zu", pflegt sie zu sagen, was zwar noch ein Weilchen hin ist, aber so sind sie eben, die Diven dieser Welt: redet nicht über mein Alter, redet lieber über mein Wirken. Also dann, Ihr Geheimtipp fürs lange Leben? Hier ist er:

"Wer allegro in Entschlüssen,
moderato in Genüssen
und piano das Vergnügen übt,
spielt in schönster Harmonie
seines Lebens Sinfonie."

Na dann: toi toi toi für viele weitere Aufführungen und noch lange kein letzter Vorhang.


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 Bergische Persönlichkeiten, Part II