Henckels: im Zeichen der Zwillinge

"Die Henckels-Mark ist einen Thaler wert" (damals: 1 Thaler = 3 Mark). Dieser Satz war in Solingen ein Geflügeltes Wort. Und besagte, der bei Henckels (als Arbeiter) verdiente Lohn sei so etwa wie ein Schatz – warum auch immer. Möglicherweise, wer es geschafft hatte, dort arbeiten zu dürfen, war ausgewiesener Spitzenfachmann und daher seines Jobs und Lohnes sicher. Denn dieses Unternehmen hatte schon immer ein durch seiner überzeugende Qualität gestärktes Selbstbewusstsein. Zu recht, denn heute noch trifft man sprichwörtlich "in aller Welt" das älteste Markenzeichen Solingen, die Zwillinge an. Auch in der eigenen Werbung war man früher wie heute keineswegs zurückhaltend. Man agiert(e) nach dem Motto: Produzieres (sehr) Gutes und rede eindringlich darüber. In diesem Sinne darf das Henckels Zwillingswerk als Musterbeispiel konsequenter Werbestrategien dienen – auf internationalem Rang übrigens.

 

1940 kam dieser Prospekt heraus. Mit einer optisch herausgearbeiteten "Deutschheit", die man mit dem Geist der damaligen Zeit in Verbindung bringen muss. Denn noch glaubte Nazi-Deutschland, den selbst angezettelten Krieg gewinnen zu können und Sprüche wie "am deutschen Wesen soll die ganze Welt genesen" waren anstandslos normal. Ergo frönt auch diese – im übrigen handwerklich wie konzeptionell für die damaligen Verhältnisse extrem exquisite Werbeschrift (so nannte man es einst) diesem Klischee: Blond, schlank, "gesittet", gepflegt, die Damen zwischen unermüdlich fröhlich-schaffende Hausfrau und männerdienende Muter, der Herr bereit für die Kämpfe des Alltags und ansonsten mit besten Manieren vertraut ...

Kann es denn einen überzeugenderen, selbstbewussteren Slogan geben als diesen: Alles, was dies Zeichen trägt, ist gut.


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Echter Steindruck, ohne Drucknorm

Die kleinen nützlichen Helfer – damals wie heute heiß begehrt, wenn von besonderer Qualität; sozusagen: ergo aus Solingen.


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Ach ja, die Preise. Was heute wie Supersonderangebot aussieht, war damals "verdammt viel Geld" – und auch heute noch sind Solinger Stahlwaren alles andere als ein Discount-Lockvogelangebot. Auch wenn man im Ebay scheinbar Schnäppchen machen kann. Es ist eben doch noch ein signifikanter Unterschied festzustellen, ob eine Schere x oder x-mal-5 kostet. Die eine schneidet. Die andere schneidet ein Leben lang.


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Nettes und lustiges Detail: in der Katalogseite ist die Abbildung einer Litfaßsäule eingebaut. Und auf dieser Litfaßsäule sind Plakate, deren Motiv bei starker Vergrößerung wiederum die Titelseite eines anderen Henckel-Prospektes ist (siehe weiter unten auf dieser Seite). Ein kleiner Gag der Grafik, gewissermaßen. Die im übrigen auch hier zu vollbringen versucht, was allen Solinger Katalogen über Jahrzehnte eigen war: so viele Produkte wie möglich auf einer Seite unterzubringen. Nicht nur Stahlwaren aus Solingen, auch Drucken war und ist eben teuer.


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Frau schneidet Schinken – gleich sehen wir es im Original.


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Allerliebst: Schere und Fingerhut. Bei Hitchcock hätte man dem Motiv glatt unterstellt, sexuelle Handlungen zu symbolisieren. Aber hier doch nicht, *grins*

 

Wer heute in den Verkaufsraum von Henckels kommt, findet im Prinzip noch genau die gleichen Produkte und Sortimente samt Etuis vor. Logisch, "moderner" verpackt, mehr Style und Stil, viel mehr Design und CI (Corporate Identity) – aber deshalb eben nicht unbedingt anders. Die Preise allerdings, die sind auch im Teuro nicht annähernd so niedrig wie hier in Reichsmark.


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Das Beste für die Herren – glatte Haut galt als sexy. Als Bartträger muss ich da ganz ruhig sein.


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Ein Sammelsurium: Garten- und Rebmesser, Schnitzmesser und Papierscheren, Zigarrenabschneider, Brieföffner-Garnituren: "Wir bestätigen Ihnen gern, daß die uns gelieferte Gartenschere Nr. 25 brauchbar ist", bestätigt ein Kunde. Na, das wollen wir aber auch schwer hoffen.


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Als Solinger ist der Reflex in jedem Lokal: erst mal auf die Klinge schauen, woher die Bestecke sind. Wehe es steht nicht Solingen drauf – wie soll es denn da schmecken ? Und Weintraubenscheren – Mitte rechts – sind auch arg selten geworden heute.


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Für "vornehme Leute": man ließ sich das Familien- oder Familienoberhaupt-Monogramm ins gute Besteck eingravieren. Schade, dass die aus der Mode gekommen ist.


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Bieder bis banal: Besteck-Design war noch keine Sache ausgefallener Formen und Ideen. Bodenständigkeit war angesagt.


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Und hier ist sie, die fleißige Hausfrau von der Litfasssäule; dicke "Remmeln" (Scheiben) vom Schinken schneidend. Was, wen wunderts, dank Solinger Messer zum Vergnügen avancierte. Na, bei dem Schinken mit Fettrand: dann guten Weightwatcher-Appetit.

Solinger Stahlwaren – überall ein Begriff (wo in aller Welt leigt Pirna, fragen Sie sich? – Am Stadtrand von Dresden, gegenüber dem Nationalpark Sächsische Schweiz, direkt an der Elbe.

Wie könnte es anders sein, natürlich machen Solinger Stahlwaren, vor allem die aus dem Zwillingswerk, das Leben leichter – Verdruß adé. Vielleicht nehmen Sie jetzt mal ihre Messer in der Küche zur Hand und überlegen, ob ein paar neue, "vernünftige" nicht eine sinnvolle Investition wären !!!

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Und noch etwas: wir egen uns doch heute so gerne auf, wenn (wieder einmal) die Rechte der Frauen und vor allem ihre Eigen- und Selbständigkeit von den Machos grob missachtet wird. Zu recht wohl, denn noch vor gut 70 Jahren galt die Frau schlichtweg als gar nichts. Lesen Sie den Lobestext am Fuß dieser Prospektseite, da ist auch eine Frau Josef Josten der Meinung ... und so weiter. So viel ich weiß, ist Josef ein Männername. Also galt damals (was schon immer galt in Deutschland und bis dato auch noch immer in Österreich): die Frau ist das, was der Mann ist. Teilt mit ihm Tisch, Bett, Namen, Stand – und hoffentlich auch den Anstand.

Das mit dem "deutschen Gruß", das war 1938 eben so. Aber es kommt noch "strammer", weiter unten ...


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Das Kullenmesser schafft, wo andere versagen.


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Fette Wurst, dünner Schnitt: Guten Appetit !


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Ein Mailing würden wir heute sagen, ein "Geschäftsschreiben" in gedruckter Formen an die verehrte Kundschaft, um mitzuteilen, dass ein Gesellschafter eingetreten sei, der nun auch die Geschäfte zu führen gedenkt. Und bei dieser Gelegenheit kann man noch einmal mit den wichtigsten Herren und Unterschriften des Hauses bekannt machen. Als "analoges Zertifikat" gewissermaßen.

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HH, aber bitte mit Ausrufzeichen (war immer zwingend vorgeschrieben), so wie es sich zu dieser Zeit geziemte. Wehe, es hätte einer nicht so gehandelt, der öffentlich anerkannt und damals noch weitgehend unbeschwert Geschäfte machen wollte.

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Was haben die ägyptischen Pharaonen und die Henckels-Geschäftsleitung gemeinsam? Na ganz klar, die grafische Form der Selbstdarstellung: im Rahmen. Pharaonenname wurden stets umrandet geschrieben, man nennt dies eine Kartusche.