Das neue Törichte (1)

Als "Tor zur Mitte" wurde es uns Bürgern verkauft. Das das neue, geleaste Rathaus der bankrotten Stadt Solingen aber nicht sonderlich groß geraten ist, ist es eben ein kleines Tor. Der Schwabe, der Solinger Oberbürgermeister Haug ist Schwabe, würde sagen, ein Törle. Da aber Törle weiblich klingt und die EU erst in diesen Tagen alle Werbung mit Rollenklischees verboten hat, muss es auch männlich sein, das Törle. Und wird so zum Töricht. Klingt wie Wüterich, und mancher Bürger ist es auch, wenn er daran denkt, dass wir Einwohner für die nächsten 30 Jahre jährlich 1,8 Mio dafür zahlen müssen. Macht pro Einwohner der Stadt Solingen in diesem Zeitraum nur 337 Euro, gerade mal 11 Euro pro Kopf im Jahr, knapp einen Euro im Monat. Das ist doch nicht wirklich viel, oder? Gerade mal so viel, wie ein Hartz-IV-Empfänger angeblich täglich zum Essen braucht, wie man uns jüngst vorrechnete. Also, vergessen wir den Ärger über das Geld. Geld kann man nicht ins Grab nehmen, und stecken wir es lieber in ein schönes Rathaus. Ja, in ein schönes. Am 6. September 2008 durften die Solinger besichtigen, ob man ihnen ein solches gebaut hat.

 

Was will uns dieser Rathausneubau sagen ?

 

Kennen Sie die Legende von Babylon? Na klar, das waren ja jene zum Schluss Unglücklichen, die sich auf keine gemeinsame Sprache verständigen konnten und sich daher nicht verstanden haben. Schon seit ganz, ganz vielen Jahren prangt dieses Symbol als vielleicht Solingens schönste Wandmalerei in der Nordstadt, gegenüber dem Theater. Und nun auch sehr direkt vor dem Neuen Rathhaus. Diese Glastürme als Symbol nahmen rückwärts gesehen immer schon ahnungsvoll-symbolisch vorweg, was nun in Solingen Realität wurde, baulich wie symbolisch, sprachlich wie real: die einen feiern das Rathaus als Durchbruch, siehe Bild, die anderen verstehen nicht, warum es gebaut wurde. Siehe Babylon.
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alle Fotos: hgw


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Herausgekommen ist bei allen Plänen, allem Sparen, allen politisch-justisch-vertraglich-organisatorischen Jonglagen nun ein Objekt, das mit dem Begriff "Zweckbau" sachlich beschrieben wie zugleich ästhetisch klassifiziert ist. So baut man eben heute, wenn man sehr einfach bauen will und dennoch zwei weitere, wichtige Dinge unter einen Hut bringen will: Anpassung an Bestehendes (altes Rathaus ist der WKC-Klinkerbau, die Fassade des neuen Rathauses ist auch größtenteils verklinkert) und dem Gebäude irgendwie etwas schmückend-charakteristisches geben will.
In diesen Sinne und gemäß diesem Auftrag muss man sagen: der Bau ist formal gelungen.
Ob man damit (politisch) einverstanden ist, dass dies durch einen Investor geschehen und ein solcher Mietvertrag sein musste, das ist eine völlig andere Frage. Dafür können, simpel gesagt, die Mauern nichts.
Und nunmehr war Tag der Offenen Tür zur Besichtigung des Baus und es war nicht geladen worden, um über die Stadtpolitik Gericht zu halten. Was aber dennoch wohl kaum auseinander zu halten ist.
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Extrem grob unfair wäre, den Bau in seiner schnöden Sachlichtheit meckernd abzulehen, nur weil die Außenanlagen noch nicht fertig sind. So viel Phantasie muss sein. Jeder, der einmal ein Häuschen gebaut oder einen Garten gepflanzt hat, weiß genau, es gibt ein Beginnen und dann der Zustand Jahre danach – dazwischen liegen Welten. Also warten wir ab, wie das erschreckend kahl-nackte, kühl-konstruktive wirkt, wenn im wahrsten Sinne des Wortes Gras über die Sachen gewachsen ist, und hoffentlich noch eine ganze Menge mehr. Dann werden wir vielleicht in zehn, fünfzehn Jahren begeistert sein, wenn wir im Rathaus-Biergarten unter Ulmen, Kastanien, Linden oder Weinreben Bio-Bier und fair gehandelten Kaffee für 11 Euro die Tasse trinken wollen, dürfen, können.


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So sieht es in ein paar Jahren aus. Ganz bestimmt. So ähnlich, jedenfalls, vielleicht.


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Kantig. Eckig. Selbstbewusst. Ein Schiffsbug – als solcher, vor allem in Klinker, ist dieses Baudetail irgendwie hanseatisch-hamburgisch.


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Ja, was soll man dazu sagen? Kühn, aber nicht kühn genug. Anders, aber nicht wirklich anders. Banal, aber irgendwie auch nicht ganz so schlimm. Modern, aber auch ziegel-wörtlich ein wenig altbacken. Unspezifisch, aber deshalb ja nicht gleich schlecht. Komisch, aber auch charakteristisch. Und so gesehen passt das Ding hervorragend zu Solingen: es ist irgendwie nicht wirklich was Besonderes, aber auch nicht wirklich nichts Außergewöhnliches, also so dazwischen, keiner weiß was so richtig im Moment damit anzufangen, aber nun ist es mal da, und basta.


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Der ostberliner DDR-"Palast der Republik" wurde von der Berliner Schnauze als "Erichs Lampenladen" (gemeint war der damalige Staatsratsvorsitzende Erich Honecker) verspottet. Wenn man nun die neue Rathausfassade in Solingen sieht, kommen einem Assoziationen. Also Leute, nennen wir fortan das Ding doch einfach "Franzens Lampenladen" (weil OB Haug für seine Wahl werben ließ "Mehr Franz ins Rathaus").


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Lug und Trug oder nur Wunsch und Wirklichkeit? Im Plan war der Rahmen hell, weiß. Jetzt ist er düster, schwarz. Und eine plakative Benennung sollte dranstehen, statt dessen haben die Fenster nun albern-bunte Streifen. Und aus der Duftigkeit des markanten Turmbaus ist auf den ersten Blick auch nichts geworden (siehe Bild oben). Nun ja, was tut man als Investor nicht alles, um Entscheider zu blenden. Das ist nicht nur in der Werbung, das ist auch in der Politik so.


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Wie man nicht nur sich selbst, sondern vor allem die Öffentlichkeit täuschen kann. Im Plan wirken die hellen Fensterrahmen leicht, duftig, sympathisch. Herausgekommen ist aber bedrohlich-düsteres Schwarz. Gut, das erspart das Putzen. Aber das gibt dem Bau auch den Charakter von Fabrik, Gefängnis und "Anstalt".


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Nachdem jahrzehntelang die Verwaltung in einer Ex-Fabrik hauste, hat sie sich – wahrscheinlich haben sich alle psychisch so an das Ambiente gewohnt – abermals für eine Verwaltungs-Fabrik entschieden.

Positiv gesehen: der Neubau greift exakt jene Architektur auf, die vor ziemlich genau 100 Jahren in Solingen für die schnell errichteten Fabriken typisch war. Nur hat man damals noch mehr Liebe zum Detail gezeigt, wie ein Vergleich mit dem Ziegelbau der Firma Rasspe zeigt. Es ist schon verblüffend, wie sehr sich im Charakter beide Bauten ähneln und doch unterscheiden. Der "aus der alten Zeit" wirkt bei aller Profanität, für die er errichtet wurde, würdevoll. Der Neubau dagegen kann das Wort "langeweilig-profan" nicht unbedingt von sich weisen.



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Ist es ohnehin nicht kurios, bittere Ironie, dass das Rathaus just in einer Zeit neu gebaut wird – und stilistisch an die Gründerzeit vor (über) 100 Jahren anknüpft – da gleichzeitig in Solingen durch Zusammenbruch und Wegzug von Firmen riesige Gelände zur Verfügung stehen. Man stelle sich vor, dieses Rasspe-Gelände würde kernsaniert und die Hallen unter Beibehaltung der architektonischen Elemente und des Fabrik-Charakters in Großraum-Multifunktions-Verwaltungs-Event-Hallen umgebaut. Grandios, super, einmalig. Man macht dies in Hamburg und im Ruhrgebiet, in New York und Zürich.

Und dann, jetzt bitte hinlegen, weinen und ganz traurig sein, stelle man sich vor, auch in Solingen solle dies geschehen: Ein Gejammer wie ein Hurrican, ein Aufheulen wie der Start einer Mondfähre. Nein, Solinger Politik hat längst den Mut verloren, perspektivisch zu sein. Solingen ist nicht nur finanziell, es erscheint mit in seiner allgemeinen Mutlosigkeit auch geistig bankrott. Und ich höre oft, viel zu oft, dass nicht nur ich so empfinde.
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  • Persönliche Anmerkung: Wenn ich diese zynischen, denk-faulen und arroganten Bemerkungen aus der Politik "kein Geld" höre, dann bekomme ich Wut im Bauch: Was, wenn nicht "aus dem Nicht", "mit nichts", "nur mit Phantasie, Geschick und Mut" müssen denn Privatleute, die zu Unternehmern werden – oder auch jeder normale Arbeitnehmer mit seiner Hände oder seines Kopfes Arbeit –, die Erfolge erwirtschaften, von deren Gelder (sprich Steuern) später die Politik ausgeben kann? Und wenn Lokalpolitik wirklich, wie sie es darstellt, gesetzlich-reglementiert so gebunden ist, dass sie keinen Gestaltungsspielraum hat, ja – um so schlimmer. Dann sollen doch die Lokalpolitiker aller Couleur ihren Parteifreunden in den "höheren Gremien", sprich auf Landes- und Bundesebene das antun, was an Stammtischen gerne mal als "eine Bombe in den Arsch stecken" verdeutlicht wird. Krass gesagt, aber verständlich ausgedrückt. Wenn sich Parteien auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene gegenseitig das Wasser abgraben, was sollen wir Bürger dann noch von solch einem Chaos halten, ohne uns angewidert abzuwenden?
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Blick in den Gefängnishof. Oder an was empfinden Sie bei diesem Anblick? Ja natürlich, es muss erst das Grün wachsen. Aber der Konflikt ist vorprogrammiert: werden die Sträucher zu hoch, beschweren sich die unteren Etagen über viel zu wenig Licht. In den Büros kommt man sich dann womöglich wie im Terrarium der Fauna vor. Im Grünzeugs-Käfig. Na ja, solange im Rathaus keine Gift- und Würgeschlangen, Skorpione und Krokodile leben, nehmen wir jede gärtnerische Innenhofgestaltung gelassen hin.


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Die Büros haben die Größe von Gefängniszellen. Wenn ich hier arbeiten müsste, "do wüörd ech bekloppt" – sagt man auf solingerisch. Solche Zellen sind entwürdigend. Meine Erfahrung ist, so wird dort gebaut, wo der Mensch nur ein austauschbares Etwas ist, aber nicht als individuelle Persönlichkeit wahrgenommen wird.

Und ich vermute, das wissen auch die Verantwortlichen, und handeln dieser Erkenntnis zuwider. Und wenn sie es nicht wissen, gehören sie dann nicht eigentlich wegen Unkenntnis und Unfähigkeit schleunigst entlassen? Wie will man von Menschen, die etwas – und immer mehr – leisten sollen, diese Motivation verlangen und sie gleichzeitig in Käfige einsperren, die gerade mal die EU-Norm für Pferdeboxen erreichen?

Dass man aus solchen Kerkern auch noch auf Lokalitäten mit dem Namen "Bosporus" schaut, gibt dem Ganzen wenigstens eine ironisch-musikalische Note: Man plane bitte die Entführung aus dem Serail ... (Serail ist "Palast des Sultans", Sultan Franz).
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Der Blick aufs Grün kann nur noch den Seelenjammer verstärken, den solche
(er-)niedrigen(den) Räume verursachen.
Jeden Tag schwedische Gardinen, sprich Stäbe vor den Fenstern zu haben: welch ein Grauen, wie mir scheint.

Und Fensterbänke für Blumen, für ein wenig Schmuck, für etwas menschliche Persönlichkeit? Gestrichen. Kein Geld. Nix da. Stattdessen optischer Kasernen-Mief wie in einer Heil-, Zucht- und Besserungsanstalt.


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Treiben wir es auf die Spitze und geben mit einem simplen optischen Trick der Armut den Charakter des Ästhetischen. Aber vielleicht ist es ja nur ausgleichende Gerechtigkeit. Hochrangige Politiker und publicity-geile Professoren rechnen derzeit den Hartz-IV-Empfängern vor, wie sie mit dem Armutsbetrag von 1,30 oder 4,10 Euro täglich reichlich satt werden und gesund bleiben. Dann darf man wohl auch, sie sind ja nach der Verbeamtung mit dem Urteil "lebenslänglich" belegt, mit Bediensteten der Stadtverwaltung so umgehen: wie man mit 100 Euro ein Büro herrichtet. Armut ist die neue Würde Deutschlands geworden.

Russen kaufen mit Koffern voller Geld in der Zürcher Bahnhofstraße Uhren, selbst faule Kicker verdienen hunderttausende oder Millionen, für einen Bühnenschreihals zahlen Normalos einige hundert Euro Eintrittsgeld, Luxusreisen auf Edelschiffen boomen, auf (Solinger) Straßen fahren Karossen herum, die haben mehr als 100 PS zu viel an Bord gemessen an dem, was man braucht, um im Stau zu schleichen, Aldi verkauft in Mengen hochwertige Weine und Kinder ab 3 Jahren vertelefonieren regelmäßig 50 Euro und mehr im Monat auf dem Handy. Aber für Stadtverwaltungs-Mitarbeiter ist nur noch Investitionsgeld da, das Räume erzwingt, die weit unter Sozialwohnungs-Standard sind. Wollen wir bitte spätestens jetzt anerkennen, dass die Zukunft hinter uns liegt?

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Was würde die Bergische Hausfrau zu diesem Treppenhaus sagen, respektive fragen? Ist doch ganz klar: Und wer putzt die Fenster? Jetzt warten wir mal ab, wer bei der Geldknappheit der Solinger Verwaltung wirklich die Fenster putzt. Insofern: genießen Sie den letzten klaren Blick für die nächsten 30 Jahre!


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Beim Tag der Offen Tür konnten sich die Bürger über allerlei Geplantes und Verwirklichtes informieren.

Eins muss man der Stadtverwaltung wirklich zugute halten und ihnen ein Kompliment machen: trotz Geldmangel, die Pläne sind wenigstens immer schön bunt.


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Das ist der Entwurf, der gewonnen hat. Das? Natürlich nicht. Dieser Entwurf geht von hellen, luftigen Gebäudeteilen aus. Errichtet wurden welche in ähnlicher Form, aber düster und damit optisch eng. Viele Details, die das Ursprungs-Modell so attraktiv gemacht haben, sind einfach fallengelassen worden. Merke: Armut macht hässlich. Meine Oma hatte immer einen Spruch parat: "Arm Lütt es usselig Volk". Stimmt.


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Erstaunt war ich zu sehen, dass an Stelle eines Rathauses auch eine Hühnerfarm angedacht war. So viel ich mich erinnere, ist diese Art zu bauen mit dem Zusammenbruch der DDR aus der Mode gekommen.


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Schade, dass dieser Entwuf nicht genommen wurde. Dies ist mein Favorit. Denn unter dem Mittelteil wäre das neue Multibad entstanden, eine herrliche Badelandschaft mit einem baumbegrünten Glasdach. Was gut passen würde: Die Verwaltung geht baden, der Bürger wird nass gemacht, wir alle saufen ab und dem OB steht das Wasser bis zum Hals. Wir könnten endlich wieder aus dem vollen (Becken) schöpfen, Warmduscher hätten eine Heimat und wer wollte, könnte jederzeit abtauchen. Diese ideale Büro-Bad-Kombination hat man verpasst. Für alle Zeiten. Und nun stehen wir alle da wie die begossenen Pudel.


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Kindergarten-Look. Immerhin hat Solingen Stadtfarben, Gelb und Blau – wieso sind die nicht als Symbole genommen worden? Warum die Fassade aussehen muss wie eine Kinderverwahranstalt, möchte ich gerne mal erklärt bekommen.

Das Rathaus als Peep-Show. Nichts gegen Architekten, es gibt auch gute unter ihnen, aber möchten Sie dermaßen auf dem Präsentierteller arbeiten? Nasebohren? – Unmöglich! Faulenzen? – Wäre öffentlich! Sex im Büro? – Die Zuschauer werden dankbar sein!
Eine Dienstbesprechung? – "Kiek Dir ens die fullen Beamten aan. Die donnt wier nix als dummdösig Daabern."!


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