Das neue Eigentor (4)

Paläste bauten sie alle. Die Herrscher aller Zeiten und aller Klassen, Rassen, Kassen. Ob Pyramide oder Prachtschloss, ob Fassadenprunkt oder Fantasie-Gebäudegebilde – Macht will demonstriert, in Stein, Stahl, Beton oder Glas und Glitzer verewigt werden. Das Ideal der Megacity Rom vor 2.000 Jahren wurde zum Idol: Je dicker die Mauern, desto bedeutender der Bauherr. Auch in den zu Solingen vereinten Städten ließen Stadtväter schon immer gerne die Münzen klimpern, wenn es um die Manifestation ihres Herrschaftsanspruches ging. Die jetzige Generation dürfte dabei nicht die einzige sein, die dieses nur auf Pump realisieren konnte und es mit Wirtschaftlichkeit begründet. Was das Heute angeht: wirtschaftlich wäre gewesen, man hätte sich beizeiten Gedanken gemacht und das viele Geld, was zwischenzeitlich über Jahrzehnte ausgegeben wurde, genutzt, als es noch da war. Wer heute über kommunalen Geldmangel klagt, weist gleichzeitig darauf hin, dass diese durchaus absehbare Situation viel zu spät ernst genommen wurde. Von Verantwortlichen ALLER Parteien.

Solingens Rathäuser, geplant, gebaut, verkauft

Das alte Rathaus von Höhscheid, längst verkauft, inzwischen "wohnt" hier eine Werbe- und Kommunikations-Agentur. Gebäude überdauern oft das Schlimme, was in ihnen passiert und wenden sich dann zum Guten: vom Verwaltungsakt zum Creative-Act gewissermaßen.


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Die einst selbständige Stadt / Gemeinde Dorp hatte ein stolzes Rathaus, wovon heute einzig und allein nur noch der Name Rathausstraße kündet, an der aber kein Rathaus mehr ist, und auch nicht mit dem Rathausplatz, dem neuen, verwechselt werden darf. Selbst der Herr unten rechts schaut ratlos.


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Das alte Rathaus von Ohligs, rechts daneben das Gericht mit angebautem Gefängnis. Auch dieses Rathaus ist inzwischen verkauft.


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Das Rathaus von Wald. Man sucht verzweifelt einen Investor (Aufkäufer). Die Rede ist von einem Altenwohnheim, das hier eingerichtet werden könnte. Man nennt so etwas "Umwidmung". Dabei könnte das die Stadt in Eigenregie betreiben: Alle Beamten über 50 Jahre, egal welche Position und Aufgabe, bekommen ein oder zwei Zimmer im alten Rathaus. Wenn sie dann in den Ruhestand versetzt werden, bleiben sie einfach sitzen. Nach Entfernen der Gebeine ist das Zimmer wieder frei.


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Das einzige "alte" Rathaus, das heute noch von großem Nutzen ist: Das Gräfrather ist heute das Museum Baden mit wertvollen, bundesweit bekannten Ausstellungen und einem ansehlichen Kulturleben. Es ist eine der wichtigsten Kunst-Bühnen der Stadt.


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Burg, die kleinste der ex-selbständigen Solingen einverleibten Gemeinden hat auch das kleinste Rathaus, dafür aber das schönste Schild.


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Das Solinger Rathaus. Nicht so schön ist dieses Schild, dafür aber das Gebäude genau so alt – und vor allem direkt am Friedhof gelegen. Innen wie außen: Totenstarre, glaubt man dem Volksmund. Aber dem soll man ja nur drauf schauen, drauf hauen und nicht trauen. Praktisch wars jedenfalls früher. Noch vom Grab aus konnte man sich beim Einwohnermeldeamt abmelden. Kurzer Dienstweg sozusagen.


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In den 60er Jahren hatte man schon die Idee für ein neues Rathaus. Damals ging man noch kühn vor: eine Pyramide sollte es sein. Die Gottkönige wurden seinerzeit noch von der SPD gestellt und diese Partei kannte schon immer den vorsichtigen Umgang mit Geld: bevor wir später vielleicht mal keins mehr haben, geben wir es vorsichtshalber schnell mit vollen Händen aus. Mit der Folge, dass die Stadt nun so gründlich pleite ist, dass nur noch bleibt, jemanden anzubetteln, ein Rathaus zu bauen, das dann abgestottert wird.


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In der Nachbarschaft – der Rathausturm in Remscheid: alt, aber bezahlt.

Doch dies wahr über Jahrzehnte der ganze Stolz Solingens: erst Kranken-, dann Rathaus. Möglicherweise hat der in den Mauern festgesetzte Chloroform-Dunst (nutzte man früher zum Narkotisieren) immer schon auf Entscheidungen Einfluss genommen. Egal unter welchem Bürgermeister, egal, welcher Dezernent: nur selten wurde wirklich eine optimale Lösung gesucht oder gefunden. Mit den Ausreden "konsenzfähig", "finanzierbar" und "machbar" wurde der Weg des geringsten Widerstandes gesucht. Was vor allem die frustrierte, die es dann auszubaden hatten, die Angestellten und Beamten. Kennen Sie mehr als einen Mitarbeiter der Stadt, die/der nicht mit Frust in der Seele rumläuft und, wenn die Rede auf die Verwaltung kommt, nicht verzweifelt "Hüör opp!" ruft? Schreiben Sie es mir. Ich veröffentliche die Namensliste. Sie wird kurz sein. .

Übrigens: in diesem "Schuppen" wurde früher auch geheiratet. Am Nebeneingang, verschämt auf dunklen Fluren wartend, in Zimmern mit dem Charme von Gerichtskammern. In diesem Gebäude haben buchstäblich tausende Menschen dieser Stadt ihre Laufbahn begonnen, verbracht, beendet. Damals, als es noch existierte, fiel wegen fehlender Alternative keinem auf, wie unmöglich das Ding war. Im Gegenteil: wer es heute sieht, verfällt in Nostalgie und trauert.

Wenn wir heute wie selbstverständlich "think big" denken, so ging es in Solingen auch mal einige Nummern kleiner. Neben dieser in der Stadt befindlichen Lutherkirche (nicht die von heute) befand sich das Rathaus, das später als Schule genutzt wurde. Das ist einige Jahrhunderte her. Der Standort ist nahe dem Fronhof, Richtung Neutor (Sie werden sagen, das kennen Sie nicht. In der Tat, weithin unbekannt ist, dass die kleine Gasse zwischen Klosterwall [Eingang bei McDonalds]/Ecke Fronhof und der Hauptstraße [Höhe Woolworth], an P&C und Kaufhof "hintenherum" vorbei, Neutor heisst.)


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Und so, tara-tandaradam, sollte eigentlich das neue Rathaus aussehen. Ende der 1920er Jahren geplant. Herrlich. Schon 80 Jahre später – für eine Verwaltung heißt das "zügig" – ist der Bau vollendet. Zwar in leichter Abwandlung, aber immerhin. Auch zweihundert Meter neben dem vorgesehen Standplatz, aber dennoch im gleichen Quartier. Nicht selbst bezahlt, aber immerhin gemietet. Ohne Turm, jedenfalls in erkennbarer Form, dafür aber auch mit vielen Fenstern. Und mit einem breiten Eingang, wie gewünscht. Na bitte, hat doch geklappt !


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Es ist vollbracht. Das Warten hat ein Ende. Solingen hat ein Tor zur Mitte. Wäre schade, wenn es ein Eigentor wird.


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