Ab in die Mitte (2)

Den besten Satz, den ich jemals über Solingen gehört habe, ist dieser: "Solingen ist eine schöne Stadt. Daran kann auch die Kommunalpolitik nichts ändern." Und so bleibt nur übrig, ab und zu mal einen relativ kleinen Umbau als Ereignis von historischer Dimension zu feiern.

Die Gedanken bei der Platzrunde am Samstagmittag sind weiter nicht wichtig. Man muss sie nicht lesen.

 

Kommunalpolitiker unter sich. So lässt sich gut Opposition machen. SPD-Genosse und Sprecher der SPD-Fraktion in der Bezirksvertretung Mitte (das ist das Gremium direkt nach der Bundesregierung) Herbert Seiffert, links (also, links vom Fotografen aus gesehen sitzend jedenfalls) ist gegen die Ansiedlung eines Einkaufsladens an der Hasseldelle. Und Dr. Hans-Joachim Stöver, genannt "Doc", Vorsitzender des SPD-Unterbezirks Solingen, ist notorisch gegen gute Laune. Der Mann ist Chirurg, und das hinerlässt Narben: wühlt er mal nicht in anderer Leute Wunden, gräbt er sich tief in politische ein. Kopf hoch, Doc, den nächsten OB stellt die SPD, und dann werden die Einschnitte in dieser Stadt noch viiiiiiieeeeel größer. Auf Dich wartet viel Arbeit, guter Mann!


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Dagegen ist Koalitionspartner Bernd Krebs, Fraktionschef der CDU-Ratsfraktion, als ehemaliger beruflich eigentlich Grüner (Geschäftsführer der "Unser Wald Marketing GmbH") fest davon überzeugt, dass ihm keiner das Wasser reichen kann. Da schaut er doch, wie bei manch anderen Problemen, lieber weg. Nach links, so viel political correctness muss sein, bei einer zwangweisen SDP-CDU-Koalition (Merke: für Mehrheiten heiraten Schwarze sogar sozialistischrote Teufel). Vielleicht scheut er ja aber auch nur die Festlegung in der Frage, ob das Glas nun halb voll oder halb leer sein. Man weiß ja nie, was die nächste Wahl bringt. Sekt oder Selters.


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Wo wir doch gerade schon bei der Politik sind, es muss darüber berichtet werden, dass Solingen nun ein weiteres Klo hat (aha, ist das etwa der Öffentliche Raum, in dem die Jugendlichen vor sich selbst geschützt werden?). Das Klo jedenfalls bietet Platz für Behinderte sowie Frauen und Männer. Das jedenfalls sagen die Zeichen, wenn man sie symbolisch-wortwörtlich deutet. Das Klo ist selbstreinigend und kostenlos. Und nun schauen wir mal, wann es zum ersten Mal wieder wegen Vandalismus geschlossen wird und wie oft. Übrigens: der junge Mann vorne links ist nicht der Klowärter, sondern gehört zur Stadtkapelle Solingen, und die marschiert immer auf, wenn in Solingen wieder so einen Scheiß gemacht, wie den Neumarkt "Neue Mitte" zu nennen. Denn Gerhard Schröder, Alt-, Ex- und Flucht-Kanzler, sprach auch oft intensiv und oft davon, er wollte mit der Neuen Mitte die Normalos in die SPD locken. Und was wurde daraus? Eine Gasleitung nach Russland, und gut wars. Hoffen wir, dass keiner auf die Idee kommt, von den Abgasen des einzigen neuen mittigen Zentralklos Solingens ein Biokraftwerk zu bauen.

Nachtrag: Wie lange geben Sie dieser Tür, unbeschmiert zu bleiben, he?
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Das ist die Stadtkapelle Solingen. Sie bläst jedem gehörig den Marsch, was aber weiter keinen stört. Denn hier posaunt sowieso jeder raus, was ihm an schiefen Tönen in den Sinn kommt. Nun ja, Musik ist, wenn man trotzdem lacht. Da wird man Ihnen schon die Flötentöne beibringen! Da können Sie trommeln, wie Sie wollen, das spielt keine Geige.


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Dieser Solinger Stadtkapelle muss ich übrigens das größte Kompliment machen, dass jemals im Lästerblogg Solingen-Internet gemacht wurde. Und das in aller Ernsthaftigkeit und ohne auch nur jeglichen Anflug von Ironie. Sie hat nämlich das gewagt, was ich mich nie getraut hätte. Sie hat Zivilcourage bewiesen, der für jeden einzelnen Musiker den höchsten Orden wert sein sollte. Sie hat getan, wozu andere Bürger viel zu ängstlich waren.

Als sie mit ihrem musikalischen Vortrag auf der Bühne begannen, spielten sie das einzige, das wirkliche, das wahre, alle Seelen erquickende Lied: "Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen." Welch ein Symbol, Ein Schelm, wer Gutes dabei denkt.

Es ist nämlich genau das Lied, mit dem Zarah Leander zum Ende des Zweiten Weltkrieges beauftragt wurde, die Soldaten aufzumuntern und zum Durchhalten zu bewegen, bis sie krepierten. Reale, makabre ehemalige Kriegs-Propaganda als Einstimmung auf die Lobrede des Oberbürgermeisters, der dann auch noch prompt wörtlich bestätigte, dieser Platz sei "wunderbar". Er weiß, ich weiß, Du weißt, es ist einmal ein Wunder geschehen. Danke, Stadtkapelle. Blas weiter so.
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Ach übrigens: alle Ampeln stehen auf rot – auf der Bühne.

Toll, dass Politiker und Verwaltungsfachleute immer das richtige Gespür für subtile kommuniktive Botschaften haben. Wenn Bürger schon nicht mehr an Wunder glauben, muss man sie wenigsten zur Ordnung rufen. Sind hier drei Polizisten im Bild zu sehen? Mitnichten, rechts ist der echte Cop, Maik Brückmann, Solingens beliebtester und bekanntester Revierpolizist, dichtend und schriftstellerndend, im Karstadt-Café Bürgersprechstunde haltend und allgemein hoch geachtet (gewissermaßen der Erbe und Nachfolger von Heinrich Luff, dem legendären Grafen vom Dreieck, einst verkehrsregelnder Weißmantel-Polizist). Und die anderen Herren? Nun, die sind ganz, ganz arm. Das sind nämlich Leute vom Ordnungsamt der Stadt, und aus lauter Armut müssen sie die gebrauchten Hemden der Polizei auftragen. Fein, dass sie schon mal im Kino gesehen, wie sich Helden breitbeinig hinstellen, wenn sie nichts zu schießen haben.
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Wer ist eigentlich auf die Schnaps-Idee vom Worspiel mit dem Freund und Helfer in Uniform gekommen, wenn es um Sherrifs geht? Ich meine in Erinnerung zu haben, Freundlichkeit und gute lockere Stimmung sähe anders aus als hier zu sehen ist. Aber ich kann mich irren. Vielleicht liegt es ja auch nur an den gebrauchten Hemden, dass die Herren übler Laune sind. Immer den Leuten wegen Hundekacke hinterherzulaufen oder Einzelhändler, die geschützten der Innenstadt, zu ermahnen, die Tomatenkisten aus dem Weg zu räumen ist ja nicht gerade das, was man unter einem beflügelnden Leben versteht. Also, haben wir Mitleid und spenden ein paar neue Hemden. Ungebrauchte.


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Aber seien wir ehrlich. Dass nun die Neue Mitte da ist, wo wir abgehen sollen ("Ab in die Mitte"), ist nicht so wichtig. Wichtiger ist, dass der Oberbürgermeister, Franz Haug ("Mehr Franz ins Rathaus") redet. Und redet. Und redet. So lange, bis die Vorsitzende der Bezirksvertretung Mitte Eva Nagy (man spricht das ungarisch "Notsch" und nicht Nagi oder so), CDU, wie auch Franz, der Rathäusler, Bauchweh bekommt und sich selbigen halten muss. Auch, weil sie, solange Franz redet, den Mund halten muss. Oder muss sie mal? Weil, das Klo, das selbsreinigend-kostenlose, wäre ja nicht weit. Noch, jedenfalls. Da lässt sich die Presse nicht zweimal bitten und knipst und filmt, was der Chip hält.
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Zu Beginn seiner Rede hatte Haug übrigens versprochen, sich ans Manuskript zu halten. Wie man sieht, tut er das auch, weil er, Franz, sonst dastehen würde, wie alle Haugs dieser Welt, wenn sie denn OB sind, dastehen: Mit leeren Händen. Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Ach, wirklich?

ST-Fotograf Uli Preuss, engagierter digitaler Alleskönner, hängt die Still-Fotografie um den Hals herum und heraus, er hat auf Video umgesattelt und achtet darauf, dass kein Pixel verloren geht. Komm, Franz, sag's noch einmal ...


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Franz Haug, der OB, der mit den leeren Händen, der sich ans Manuskript hält, redet immer noch, Eva Nagy schaut sich verzweifelt um, ob jemand im Publikum sei, der sie zur Toilette begleitet (denn Frauen gehen ja immer, immer!, zu zweit). Derweilen stehen massiv alle Ampeln weiter auf rot.

Dr. Peter Achten, Hauptgeschäftsführer des Rheinischen Einzelhandels- und Dienstleistungsverbandes (alleine das Wort lässt einen zum Internetkäufer werden) schaut verzweifelt: Wann wohl hat Franz endlich mal Ladenschluss und hört auf, sich in Rage zu reden und Sätze zu behaupten, die keiner hören will. Einer davon: "Jetzt haben wir zwei Schwerpunkte in dieser Stadt." Ei, wie fein.


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Derweil Haug redet, brät das Volk in gleißender Sonne. Die gepflanzeten Bäume sind noch so klein, dass sie wie Sträucher wirken. Und weil August kurz vor Weihnachten liegt, gibt C&A schon mal die Weihnachtsballons raus. Kinder, im öffentlichen Raum, jugendgeschützt und auf Rollenförderbahnen kistenweise verladen, voll im Clearing, sind ja so anspruchslos. Was bleibt ihnen in dieser armen Stadt auch anders übrig?

Übrigens, nur mal so: Deutschland ist Export-Weltmeister, hat einen Überschuss in der Rentenversicherung und kann sich Gas aus Russland leisten. Nur in Solingen, da werden ein paar Quadratmeter Steinplatten als ein Ereignis gefeiert, dass mit vereinten finanziellen Kräften von Fremden (also Spenden und Almosen) mehrere Tage Stadtteilfest wert ist. Könnte es sein, dass in diesem Lande irgend etwas prinzipiell nicht mehr stimmt? Vielleicht kommt ja einer mal dahinter, was.
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Ich bin mir jetzt nicht sicher, ob ich schon erwähnt habe, dass OB Franz Haug eine Rede gehalten hat. Selbst UP, so sein Künstlerkürzel, fällt die Zoomlinse aus dem Gesicht. Und Martin Kempner, Fotograf der Solinger Morgenpost, mag ganz einfach nicht mehr. Er hat dem Haug innerlich gekündigt. Kein Wunder. Die beiden Fotografen plus ihre beiden (dieses Wochenende nicht diensthabenden Kollegen Christa Kastner und Christian Beier) haben Haug mindestens schon vierhundertzwanzigtausend mal beim Reden fotografiert. Denn nichts mag uns OB lieber, als zu reden. Frei nach dem Motto: Wer redet, muss nicht auf andere hören.

Die Räson gebietet es, sich wieder am Riemen und die Kamera hochzureißen. Während Uli Preus tapfer durchhält, schaut sich Martin Kempner ein heimlich auf den Kamerachip kopiertes Video an. Oder er rechnet sich die Tage bis zur nächsten OB-Wahl aus. Dann darf er endlich wieder jahrlang einen anderen fotografieren.

Das mache mir erst mal einer nach: Uli Preuss gleichzeitig von vorne und hinten fotografiert. Na ja, wer wie ich 35 Jahre als "Rasender Reporter" unterwegs ist, schafft das spielend mit links und dem Gespür, immer dann abzuhauen, wenn es langweilig wird. Womit wir wieder bei der Rede des OBs wären.


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Der Tag geht. Und Franz redet immer noch.

Zu berichten wäre da noch, dass Franz Haug, voller Trotz, Zuversicht und Zorn, voll in das röhrende Mikrofon behauptet, er, der erste Bürger der Stadt, könne sich in dieser Stadt voll befriedigen, was seinen Einkaufsbedarf angeht. Da brauche er nicht ins Ausland zu fahren (gemeint ist Hilden, Wuppertal, Remscheid und Düsseldorf oder gar Köln). Nein, hier in Solingen fände er alles, was er brauche (nur bald Karstadt nicht mehr, steht zu befürchten. Andere große Namen sind auch schon gegangen. Um nicht zu sagen, viele schon). Dass er als bürgerlicher Einkäufer hier in Solingen zurecht kommt, glaube ich ihm aufs Wort. Der Mann ist nämlich Schwabe von Geburt. Und Schwaben sind, wie man weiß, absolut genügsam.

Nur nicht, wenn man sie mal reden lässt.
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Wo der Herr Oberbürgermeister doch gerne diese Stadt schön redet (was will er auch machen, schön ist sie sowieso und dass sie noch schöner wird, dafür fehlt im das Geld), frage ich mich aber doch, ob der Herr Gott das auch so sieht. Denn der hat, durch seinen Kumpel Petrus. letztens einen Sturm machen lassen, den wir Menschen Kyrill genannt haben (kommt wahrscheinlich vom Kirchenmantra "Kyrieleison"). Und eben dieser Orkan fegte das Kreuz von der Turmkugel der in Solingen seit ihrem Bau despektierlich "Fritz-Walter-Gedächtnis-Kirche" genannten imposanten Landmarke. Nun ist die zentrale Stadtkirche ("Alte Mitte", denn hier ist am Fronhof der echte, historische Ursprung des Ortes Solingen) kreuz-unglücklich. Bleibt uns Bürgern also nur, drei Kreuze zu schlagen in diesen stürmischen Zeiten der alten, neuen und ewigen ab-in-die-Mitte. Denn die Geschichte geht weiter: Wir erleben nun, wie neumittig der Markt ganz neu auf- und ausgerollt wird.
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