Spar- und Bauverein Solingen und das/sein Alter (1)

Er ist in Solingen eine Institution, weil größter Wohnungsvermieter. Der Spar- und Bauverein, 1897 gegründet, um in der bevölkerungsmäßig durch den Boom der Industrie rasch wachsenden Stadt Solingen den Arbeitern "menschenwürdiges" Wohnen zu ermöglichen, ab 1911 baute man eigene Häuser. Diese tiefrot-sozialistische Grundhaltung hat sich bis heute erhalten, noch vor einigen Jahren waren SBV, SPD und Gewerkschaften eine insiderische, funktionärs-verwobene Gemengelage. Wenn sich auch diese Vorbesetzungen durch die Verschleißerscheinungen und mentale Impotenz der "Arbeiterbewegung" rasant ändert, so bleibt aber der Ansatz im Kern erhalten. Die – im übrigen hervorragend gemachte – Genossenschafts-Mitgliederzeitschrift "Wohnen im Licht" manifestiert es dauerhaft in ihrem Titel. Der SBV fing mit Visionen an, die bis heute zum Glück nicht abreißen. Da ich selbst in der Genossenschafts-"Mustersiedlung Weegerhof "groß geworden bin und meine Mutter heute rein wohnlich in einem SBV-Haus an der Hasselstraße von Alten-WGs "umzingelt" :-) wird, schließt sich ein Kreis der Erfahrungen und Erinnerungen.

 

Gut, dass meine Mutter schwerhörig ist. Sie wäre sonst wohl geflüchtet, als im Herbst 2007 der SBV in diesem Haus an der Hasselstraße direkt neben ihrer Wohnung und auf der dritten Etage Wohnungen zu altengerechten Wohn-WGs umbaute – die Presslufthämmer dröhnten über Wochen. Doch nun ist sie, derzeit 86, in einem Experimentalhaus lebend, weil die Genossenschaft dieses Gebäude nach und nach zu einem Servicehaus umbauen will. Die Idee ist logisch: auch im Alter in vertrauter Umgebung wohnen bleibend, nur eben gegebenenfalls so, wie es die altersbedingten Einschränkungen an Mobilität und Selbständigkeit erfordern. Solche "anderen Arten des Wohnens" sind typisch für den Solinger SBV. Seit Gründung an.


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2002 war dieses Haus schon einmal monatelang eine Baustelle. Damals erneute man die komplette Fassade. Gebaut wurden die Häuser im Rahmen der Errichtung der gesamten Siedlung Hasseldelle von 1972 an.

 

Nun also könnten sich demnächst in diesem Haus Szenen abspielen, die jeder Ohnesorgtheater-Aufführung (erinnern Sie sich noch an den "Großvater" Henry Vahl – und, natürlich, an die genial-zänkische Heidi Kabel?) den Rang ablaufen: Schwerhöriger und Dickköpfiger wetteifern im Rollstuhl um das größte Stück Kuchen, während Hulda und Frieda in der Küche wieder alles durcheinander bringen: Kartoffeln in den Kühlschrank, Butter in die Mikrowelle. Aber keine Sorge: Entnervte "Betreuer" schlichten den Streit nach der Methode: "Also, wollen wir das nicht einmal im Gruppengespräch reflektieren, also, damit, ich meine, jeder sich einbringen kann – irgendwie?" Stimme aus dem Hintergrund, krächzend: "Wä willmich heimbringen? Nix! Ech bliff!"

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Logisch, wenn man älter wird, ändern sich die Wohngewohnheiten: plötzlich werden Kleinigkeiten zum Problem und bei aller Selbständigkeit, so ganz ohne fremde Hilfe kommt man dann doch nicht mehr aus.

Eine vernünftige Idee und gute Absichten. Nun muss sich nur noch zeigen, ob die Realität des Lebens zu den Planungen passt (weil: umgekehrt darf ja nicht daran gezweifelt werden, ohne dass man sich die Empörung der "Wir haben es doch so gesagt-bekommen"-Generation zuzieht).


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Ob eine Wohngemeinschaft immer das Richtige ist ("Alte Bäume kann man nicht verpflanzen"), wird sich zeigen – oder von der Not diktiert, dass es keine Alternative dazu gibt. Aus finanziellen wie aus strukturellen Gründen. In jedem Fall: alles in allem positive Aussichten. Fast schon so attraktiv wie die Aussicht vom Balkon der "Altenwohnung" über die Solinger Innenstadt.

Dezember 2007, SBV-Siedlungssprecher Kurt Thomas lädt die Bewohner wie jedes Jahr zu einer Feier in die WIR. Es gibt, nach Kaffee und Kuchen, eine kleine Flasche Wein als Geschenk. So weit, so nett. Entsetzen packt etliche der Senioren, als sie zu Hause den kleinen fröhlichen Anhänger öffnen: ihr Geschenk ist gespendet von einem stadtbekannten Beerdigungs-Institut. Und nun fragen sich einige ernsthaft, ob das ein Hinweis sei, dass der SBV auch ihre Wohnungen haben möchte, um sie umzubauen .... ??? !!!! Pietät-, geschmack-, stil- und gedankenlos ist es allemal.
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Ein maximaler Fauxpas: Wein vom Bestatter zur Spar- und Bauvereins-Weihnachtsfeier der Siedlung Hasseldelle für die Senioren aus dem Haus mit den Altenwohnungen. Fehlt nur noch die Einladung zur kostenlosen Sarg-Anpassung und zum Probeliegen oder ein lustiger Altennachmittag mit einer Modeschau, etwa: ,Was zieht man an im Sarg?'. Jedenfalls haben die Beschenkten teilweise mit solchem Galgenhumor reagiert, um ihren Schock zu überwinden.
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Der SBV ist in Solingen eine prägende Kraft. Seine Wohnungsbautätigkeit hat nicht nur in den vergangenen 110 Jahren seines Bestehens insgesamt hunderttausenden ein Zuhause gegeben, sondern auch ein besonderes "Feeling" erzeugt: man glaubt dem Werbespruch "Wohnen für ein Leben lang" und fühlt sich daher berechtigt, an jeder Wassergeld- und Flurlicht-Strom-Abrechnung herumnörgeln zu müssen, wenn es um weniger als 10 Cent geht. Darüber hinaus ist man großzügig.

1897 wurde des SBV gegründet. eine Sonderausgabe von "Wohnen im Licht" erinnert daran und stellt intensiv auch den Wandel in den letzten 10 Jahre vor – und den in den 100 davor. Schon 1927, nach 30 Jahren Existenz, hatte man schon einmal Bilanz gezogen und die Ausblicke verkündet.




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Vielerorts im Stadtgebiet Solingens und Höhscheid trifft man auf die SBV-Häuser. Irgendwie sieht man es ihnen immer gleich an, dass sie die Handschrift des SBV tragen. Sie haben so eine gewisse Balance zwischen Großzügigkeit und normierender Strenge.

Die nachfolgenden Bilder stammen sämtlich aus der Zeit um 1925/26.

Bünkenberg, Vockerter Straße


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 Wohnen im Licht – fast immer könnte es im SBV auch heißen: Wohnen im Grünen. Denn dass im Gegensatz zu heutigen Perversitäten der so genannten Reihenhäuser des freien Wohnungsmarktes (Sklaven hat man auch nicht enger gehalten, nur die mussten für ihre Hütten nicht noch hunderttausende Euro selbst zahlen) hat der SBV immer schon auf ein großzügiges Wohnumfeld Wert gelegt. Das ist – wenn auch nicht immer ideal – bis heute so geblieben.

Teich am Kannenhof


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Der SBV residiert in einem markanten Gebäude in der Innenstadt von Solingen (Kölner Straße); in Kombination mit dem DGB (der allerdings aus Armut und Schrumpfung seiner Gewerkschaften nach Wuppertal flüchten musste), links, und der AOK. Nach damaligen Verhältnissen waren damit die wichtigen sozialen Institutionen "schmerech benëin", dicht beisammen.
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Als der Solinger Spar- und Bauverein gegründet wurde, was Solingen noch nicht Solingen sondern nur Solingen. Zur Entwirrung: Es gab noch nicht die Großstadt Solingen, die aus der Eingemeindung auch von Ohligs, Gräfrath, Wald und Höhscheid 1929 gebildet wurde. Deshalb gibt es neben dem Solinger Spar- und Bauverein auch einen bis heute eigenständigen Walder, Gräfrather und Ohligser Bauverein. Der heutige SBV Solingen hat jedoch längst das gesamte Stadtgebiet erfasst. Hier, 1927 waren die Siedlungen und Häuser eher noch versprenkelt verteilt.

Hübsch auf dieser Karte übrigens die frühere Schienendichte von Solingen zu erkennen, nämlich die Straßenbahn von Müngsten nach Krahenhöhe (suchen Sie mal), die Korkenziehertrasse, die Straßenbahn nach Kohlfurt (genau hinschauen!) – und vor allem aber auch, wie wenig besiedelt Solingen noch ist, wie viele freie Flächen es hat, die heute längst bebaut sind.


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Zuweilen ist auch in Solingen das englische Sprichwort "My home is my castle" angebracht – nicht nur in der freien, falschen Übersetzung "Mein Zuhause ist in Burg", sondern auch in den Bauten des SBV.

Dorper Straße



Doch eben nicht Beton und Mauerwerk, Fassaden-Architektur prägen die SBV-Häuser und -Siedlungen, sondern die erhaltene Natürlichkeit, in die sie eingebettet sind.

Hippergrund


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Kannenhof

Die Geschichten der einzelnen Siedlungen kann man übrigens auf instruktiven Tafeln nachlesen, die in jeder dieser Siedlungen aufgestellt sind und natürlich auch im Internet:




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In der dichten Besiedlung der heutigen Stadt nimmt man die ursprüngliche Großzügigkeit auch des städtebaulichen Plans der Siedlungen kaum noch wahr. Viele der damaligen Freiflächen existieren heute nicht mehr oder sind so eingekesselt, dass sie von ihrer Großzügigkeit verloren haben.


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Dieses Prinzip, der Gleichförmigkeit entgegenzuwirken, haben Hermann Meyer, damaliger Vorsitzender (Straße nach seinem Namen im Weegerhof) bzw. der damalige für Bauwesen zuständige Beigeordnete Schmidthäußler klar formuliert.

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Mehr Spar- und Bauverein in "www.Solingen-Internet.de"
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