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Spar- und Bauverein Solingen und sein Alter (2) |
Allmählich wird die Entwicklung dramatisch. In dieser Zeit – um 2010 – werden soziale Errungenschaften abgebaut, die man sich in der Zeit vor, während und vor allem nach der 1848er Revolution – dem Beginn der "Aufmüpfigkeit" von Demokraten und der Arbeiterklasse" – hart errungen hat. Teils unter Opferung des eigenen Lebens, in Millionen von Fällen durch persönlichen Mut und Entbehrungen erkämpft. Das Ideal der sozialen Marktwirtschaft – in den 1970er und frühen 1980er Jahren noch "der Hit", verkommt zu schalen Lippenbekenntnissen quotengeiler, sprich wiederwahl-erpichter Politiker oder wird von (Groß-) Kapitalisten und deren asozial (übersetzt: gegen die Gemeinschaft, nicht sie fördernd) eingestellten Geldhuren (Manager, die nur auf ihren eigenen Profit hin arbeiten) mit Füßen getreten und verhöhnt. Da tut es gut, sich zumindest an die wenigen Jahrzehnte "heile Welt" zu erinnern – von der manche Genossen im SBV immer noch träumen. Gönnt es ihnen.
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Kaum hatte ich den Text mit dem Ende der Sozialen Marktwirtschaft geschrieben (siehe Einleitung oben), erschien auf de Titelseite des Solinger Tageblatts vom 11.12.07 diese Headline. Die werden doch nicht etwa bei mir abkupfern?
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Wissen Sie, woher der Begriff „abkupfern“ stammt? Früher wurden Zeichnungen oder Texte, ganze Seiten in Kupferplatten geritzt und später geätzt, so dass man sie vervielfältigen konnte. Auch wurden Blei-Klischees (sog. „Stereos“ galvanisiert und die Kupferhaut dann rückseitig ausgegossen. Dieses „Galvanos“, also die originalgetreue Duplizierung, waren ebenfalls buchstäblich abgekupfert.
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Sensationell zur damaligen Zeit waren die Errungenschaften der Moderne: jede Wohnung hatte ein eigenes Badezimmer mit WC, Warmwasserboiler (Gas), in der Küche fließend Kalt- und Warmwasser, Einbauschränke mit Eisfach (früher wurde noch Stangeneis per Pferdefuhrwerk angeliefert) – und eben das zentrale Waschhaus, einen Konsumladen in der Siedlung, eine Gaststätte und nahebei einen Kindergarten sowie jede Menge Erholungs- und Spielfläche im Grünen. Das war extrem viel mehr, als die anderen "Arbeiter" um diese Zeit – 1925/30 – erhoffen durften.
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Mit dem Kannenhof (und einigen anderen Projekten) hatte der SBV genügend Erfahrung gesammelt, um Siedlungen "auf der grünen Wiese" zu bauen und ihnen dennoch eine völlig andere Infrastruktur zu geben, als seinerzeit – in den 1920er Jahren – üblich war. Der Weegerhof war dann ein solches "Vorzeige-Projekt", desses Richtigkeit sich bis heute bewiesen hat. Dieses Planungsmodell zeigt den Weegerhof von Osten; links die Weinsbergtalstraße, im Vordergrund die "Anlagen", wie sie im Weegerhof kurz und knapp genannt wurden mit Blick auf die Georg-Herwegh-Straße; vorne rechts (kurzes Teilstück) ist die Kanalstraße. In der Mitte ist das Waschhaus (mit Schornsteing) zu sehen, oben rechts die Fritz-Reuter-Straße. Mitten drin (Querachse in diesem Modell) die Hermann-Meyer-Straße, benannt nach dem damaligen "Motor" beim SBV.
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So ist der Weegerhof damals dann gebaut worden (Achtung, gegenüber dem Modell oben in der Planzeichnung 180° gespiegelt; "oben ist unten" im Vergleich). Deutlich zu erkennen der "Grüngürtel" gegenüber der Weinsbergtalstraße, an deren (rechten) Rand später auch noch etliche Häuser gebaut wurden. Dieser Grünstreifen war Spielplatz, Spielwiese, "Erholungsanlage". Im Plan sind auch die Gärten zu erkennen, die dann den Weegerhof vor allem nach dem zweiten Weltkrieg so begehert gemacht haben (in der "schlechten Zeit", da es nichts zu essen gab). Meine Großeltern hatten sogar einen Hühnerstall hinterm Haus. Pünktlich zu Weihnachten wurden die Hühner gestohlen.
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Zwischen den Häuserblöcken sieht man im Modell kleine Wäldchen. Die wurden so nicht ausgeführt. Statt dessen gab es großzügige Gartenflächen direkt hinter den Häusern, wo sich die Familien Gemüse, Blumen, Beerenobst und mancherlei andere frische Lebensmittel sähen, pflegen, ziehen, sie ernten konnten. Ein nicht unwesentlicher Beitrag zu erstens gesunder Ernähung und zweitens dem Haushaltsgeld. Gegossen wurden die Pflanzen mit dem gebrauchten Badewasser – frisches hätte ja Geld gekostet, und nichts liebt ein echter SBV-Bewohner mehr als seine Knausrigkeit sich und seinen Mitbewohnern gegenüber. Ich erinnere mich heftiger, gleichwohl entsetzlich lächerlicher Streitigkeiten wegen eines Groschens gemeinsamen Wasser- oder Stromgeldes.
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Der zentrale Platz im Weegerhof; hier teilt sich auf gut 100 Meter die Hermann-Meyer-Straße in zwei Fahrbahnen. Dominiert wird der Platz von der Gaststätte Weegerhof (mit Kegelbahn), die jedoch eher eine wechselhafte, nicht gerade von anhaltendem Erfolg gekennzeichnete Geschichte hat. Der Biergarten vor dem Haus war nie ein Renner. Viele Pächterwechsel brachten das Lokal mal fast in Vergessenheit; zuweilen auch nur kurze Revitalisierungsphasen haben bis heute bewirkt, dass es bis heute erhalten blieb. Derzeit herrscht wieder die Parole "da kannste gut essen". Fein, wenn es so bliebe. Im ersten Stock des Hauses sind übrigens zwei Gästewohnungen des SBV – für Besucher der Bewohner der SBV-Wohnungen im gesamten Stadtgebiet.
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Die Häuser des Weegerhofs waren in verschiedene Wohnungstyen aufgeteilt – Zwei- bis Vierraum-Wohnungen (und teils auch mehr). Sie entsprachen der damaligen "Denke" (die noch heute gesetzlich gilt) nach "Köpfen im Haushalt". Meine Eltern lebten Jahrzehnte in einer Wohnung des Typs auf der linken Seite dieser Hausgrundrißzeichnung; darin bin ich aufgewachsen, "zwei Zimmer, Küche, Bad" (plus großer Kellerraum, Trockenspeicher und einen sehr großen Garten direkt hinter dem Haus). Mein Schlafzimmer: das abends per Schlafcouch umfunktionierte Wohnzimmer. Damals war Fernsehen noch einfach: wenn ich müde war oder wegen einer am nächsten Tag anstehenden Klassenarbeit früh ins Bett musste/ wollte/ sollte, war Sendeschluss.
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Blauer Kreis: Karl-Schurz-Weg 13, hier wohnten meine Großeltern; hier sind meine ersten Erinnerungen an das Wohnen im SBV: Hof und Garten waren ideale Spielplätze.
Übrigens: der Weg vom KSW zum Waschhaus verlief dann in Realität einen Hausblock weiter links, also schräg auf das Waschhaus zu. Das große Grundstück an der Fritz-Reuter-Straße ist Bosinius, eine über Jahrzehnte dort ansässige Handlung für Spezialpapiere.
Lila Kreis: meine "Heimat", Karl-Schurz-Weg 16. Mit 6 Jahren hingezogen, mit 18 dort ausgezogen. Meine Eltern wohnten weitere 37 Jahre dort.
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So toll die Errungenschaften der Siedlung auch waren, es hätte noch besser kommen können. Allein die Armut zur damaligen Zeit, Weltwirtschaftkrise !, verhinderte noch modernere, damit aber auch teurere Wohnungen.
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Mit dem Bollerwagen morgens oder nachmittags ins Wachschaus: so kennt man die Mieter im Weegerhof. Am Abend vor dem Wachtag brachte man Kochwäsche zum Einweichen dorthin. Morgens schob man mit einem Kessel Weißwäsche los und mittags brachte man alles schrankfertig, getrocknet, gebügelt wieder heim. Für uns Kinder gab es nichts Schöneres, als mit Lust, Laune und Leidenschaft in der glitschen Lauge zu "quasen" und uns "pisspudelnass" (solingerisch: seckpudelnaaht) zu machen. Als wenn die Mütter nicht schon genug Arbeit am Hals gehabt hätten.
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Das Waschhaus im Weegerhof von der Ostseite her gesehen, dem offiziellen Eingang; weil der jedoch über Treppen führte, benutzten fast alle den Hintereingang, von dem man ebenerdig mit dem Bollerwagen bis zur Waschkabine fahren konnte.
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An das Innere werden sich noch viele Weegerhofer erinnern können – und an die Könige, die darin residierten. Sie waren von Funktion her Waschmeister, ihre Macht war absoluter als die eines Kapitäns auf einem Schiff. Nebst König Ludwig XIV haben wohl nur wenige Männer dieser Welt ein so uneingeschränktes Weisungs-Reich gehabt wie die Waschmeister. Ein böser Blick von ihnen, geschweige denn eine Ermahnung, und die Hausfrauen litten nächtelang an Schlaflosigkeit.
Die Wäsche wurde vorher gewogen – unter strengster Kontrolle des Waschmeisters, denn es galten Höchstmengen pro Haushalt (damit man nicht die Wäsche der Rest-Familie mitwusch). Per huldvollem Gnadenakt erließ der einem dann auch schon mal das eine oder andere Kilo Wäsche-Übergewicht. Man wusste ja, irgendwann war wieder Weihnachten und da konnte man den Mann ..., na ja, und so.
Bestimmte Handlungen – Wasser an den Maschinen auf- und abdrehen oder andere Bedienugnen – durften nur vom Herrn Waschmeister persönlich ausgeführt werden. Die Kinder wurden ausgeschickt, den gnädigen Herrn aufzuspüren und ihn höflichst zu bitte, die Gnade zu haben, gelegentlich einmal vorbeizuschauen. Sein Buch mit den Waschterminen galt als das heilgste Gral im ganzen Weegerhof.
Heute ist das Waschhaus – es war im übrigen als letztes seiner Art in ganz Deutschland in Betrieb ! – ein Museum und eine "Event-Location"
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In den Trockenräumen herrschte eine im Sommer kaum auszuhaltende Hitze; ebenso an den Heißmangeln (es waren derer zum Schluss vier gegenüber den zwei in diesem Plan verzeichenten). Große Tischdecken oder Bettwäsche musste man immer zu zweit anlegen – und wehe, man mangelte eine Quetschfalte herein. Diese Blamage vor den anderen Frauen konnte man ein Leben lang nie wieder wettmachen. Der soziale Rang im Weegerhof bemaß sich auch darin, wer im seine Wäsche am saubersten wusch und am glattesten mangelte. Übrigens: bei gutem Wetter konnte man die Wäsche auch zum Trocknen auf die Wiese bringen, die zunächst auch als Bleichwiese geplant war. Dort flatterten dann die Unterhosen aller Bewohner friedlich um die Wette im Wind.
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Auch in der kurz vor dem Weegerhof errichteten Siedlung Kannenhof gab es eine Dampfwäscherei, die sogar mit eigenem Lastwaren die Wäsche aus anderen SBV-Häusern einsammelte und als "Lohnwäscherei und Dampfbügelanstalt" gegen geringe Gebühr der Mieter Lebensalltag entlastete.
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Berühmt und einzigartig war auch im Kannenhof die Gaststätte; sie bot nicht nur den SBV-Mietern, sondern allen Einwohnern der Stadt Aufenthalt und Kurzweil, zumal sie unmittelbar an den damaligen Botanischen Garten grenzte.
Der Festsaal machte in der Tat einen repräsentativen Eindruck und bot über 250 Personen Platz.
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Die Arbeiterbewegung stammt ja ursprünglich aus der Idee der Arbeiter-Bildungsvereine; also durfte in einem solchen Gemeinschaftsobjekt auch das Geistige nicht fehlen: das Lesezimmer, eine Art Mini-Bibliothek mit offensichtlich tagesfrisch ausliegenden Zeitungen und gesammelten Büchern. Immerhin – diese Lampe hätte wohl mancher heute gerne :-)
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Ganz offensichtlich war das Lesezimmer kombiniert mit dem offiziell als "Spielzimmer" bezeichneten Billardtisch. Ja, auch Arbeiter wollten ihre Clubs wie in England haben !
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Das Gesellschaftszimer (auch für Familienfeste zu mieten). Daran gemessen haben die heutigen Gemeinschaftsräume und -Säle des SBV den Charme preisbewusster Jugendherbergen oder gleichend er üblichen leicht pflegbaren Einrichtungstristesse von Kliniken, Heimen und Verwahranstalten. Der Charme der Armut drückt sich in Resopal-Orgien aus; hier im Kannenhof war noch alles eine wunderschöne Melange aus Post-Jugendstil und zart angedeutetem später "Bauhaus" genannten Funktionalismus.
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Die Kegelbahn – wie die Chronik schreibt "erfreute sie sich rasch großer Beliebtheit". Kein Wunder: wer nicht singen konnte, musste zum Trinken in den Kegelclub, damit man nicht als Kneipengänger galt.
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Ein Blick in die Küche der Gaststätte Weegerhof. Nicht üppig, aber zweckmäßig. Denn schließlich wurde damals noch ohne Mikrowelle, Kühlschrank oder Dampfgarer gekocht – alles frisch und direkt.
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"Schankgarten mit Musikpavillion und Laufbrunnen" nennt die Chronik von Hermann Meyer aus dem Jahre 1927 diesen gastronomischen Außenbetrieb. Solche Gärten gab es etliche in Solingen – es waren die berühmten Ausflugslokale. Bei etlichen war seinerzeit das Schild zu lesen: "Hier können Familien Kaffee kochen". Man konnte in der Tat Sachen von zu Hause mitbringen und verzehren unter Zukauf des Nötigsten beim Wirt (was heißt "Nötigste", von dem, was man sich leisten konnte, und das war meist sehr wenig). Wer Wein und Schnaps mitbrachte, zahlte "Korkgeld" und bekam die Gläser gestellt.
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