Totterblotschen (1)

In Solingen ist alles ganz einfach. Jeder, der etwas auf die Beine stellt, also unternimmt, hält das, was er tut, für das Beste. Jeder, der nichts unternimmt, hat das Recht, über die, die etwas machen, zu meckern. Nun treffen also immer Nichtmacher und Besttuer aufeinander. Das kann ja nicht gut gehen. Weil die Kritik diejenigen trifft, die am wenigsten sich etwas vorzuwerfen haben und die Kritiker sind, die am wenigsten tun. Worauf die Wenigtuer den Manchesmachern vorwerfen, zu wenig zu tun, und die Tuer den Nichttuern, von der Sache nicht manches zu verstehen. Und genau das ist "Solinger Philosophie" – in der sich der Kant'sche Imperativ des "Handle so, dass die Maxime Deines Handelns Leitbild der allgemeinen Moral sei kann" sich in die Karl Valentinsch's Lebenspragmatik verwandelt: "Mög'n hätten wir schon wollen, aber dürfen haben wir uns nicht getraut".

Typisches Stammtischgespräch: "Et is nix loss in dr Stadt." – "Jonn doch ens no'm Dürpelfest, do es emmer jet los." – "Do es mer to völl loss." – "Ja, wat wellste dann?" – "Lot mech en Rouh, Kallbacken." – "Du häss ewwer ouch emmer jet te drieten." – "Wer, ech?" – "Ja, du." – "Hault bluß de Schnuht, söß es hie jet loss." – "Ech denk, du sëihs, et es nix loss?!" – "Wer, ech ...?" – "Drenk dr noch einen." – "Nee, dann köün ech ouch op et Dürpelfest jonn." – "Dann jonn doch!" – "Dann möüß ech jo jonn, do ben ech nit in der Moute für." – "Dawerkopp" – "Selwer ëinen."

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Eine Heide, denkt man, sei eine trockene und sandige Angelegenheit. Nicht, wenn die Heide tief liegt, dann kann sie durchaus zum Sumpf werden. Und Heide ist die Heide bei Ohligs (und Hilden) deshalb, weil sie Original-Meeresbodenist, denn vor ein paar dutzenden Millionen Jahren war die Kölnische Buch Teil der Ozeane (ganz Holland, Friesland usw. überschwemmt) und allenfalls Gräfrath oder Hästen so etwas wie Inseln. In der Heide, die "entsumpft" und dann später auch "entheidet" wurde (weil heute kaum oder keine heide-typische Vegetation vorzufinden ist), wurde in den 1920er Jahren ein herrliches Freibad gebaut. Heutzutage ist es umstritten, unter Naturschutz versteht man heute, solche "Kunstbauten" aus Landschaften wie der Ohligser Heide zu entfernen, schon wegen der Parkplätze und Trampelpfade wegen, die Besucher nun einmal benötigen, um sich mitten im Wald im herrlichen Heidebad zu vergnügen. Logisch, dass es nun völlig anders aussieht – auf diesem Foto schätzungsweise aus den 50er Jahren ist das Heidebad noch sehr naturnah-"unschuldig".

Foto: H. Oellers, Hilden

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Als die Zeiten noch ruhig und ein VW das Höchste der Gefühle war – wohlgemerkt, der eigene –, da ging man noch sonntags aus zum Kaffeetrinken. Oder aß abends Russenei, oder Bockwurst mit Kartoffelsalat und die älteren, die, die es sich erlauben konnten und Ehrung verdienst hatten, Rostbeefschnittchen oder Spargelröllchen. Davor trank man Likör, vielleicht ging man auch auf die Kegelbahn, wer Bier trank, war gezwungen, auch einen Schnaps dazu zu nehmen. Einen? Jedenfalls ist ein solch schönes, erinnerungsträchtiges Lokal für viele Solinger das Café Parkrestaurant "Zur Solinger Talsperre" in Glüder a.d.W., nach eigenem Dafürhalten "Die Perle des Bergischen Landes", welches "Direkt an der Weltmeisterschafts-Rennstrecke gelegen" ist.

Die Radweltmeisterschaft fand 1954 statt. Postkarte: Cramers, Dortmund

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Da sage doch keiner, es käme nichts meisterliches mehr aus Solingen: im Gegenteil, wer hätte gedacht, das die gemütlich-deutsche Stadt Solingen den Solinger Meistertitel in der total us-amerikanischen Sportart Baseball. Dessen Regeln zu lernen ist zwar, sagt man, für Deusche eine ziemliche Herausforderung (weshalb die Fans in der Klingenstadt sich wohl mehr oder weniger einzeln kennen), aber die Leistung ist deshalb um so bemerkenswerter: HERZLCIHEN GLÜCKWUNSCH !!!

Screenshots der Homepage am 25.9.06, ca. 6 Uhr

Link zur Homepage:



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Hier hat ein Fan von Jochen Pützenbacher, Ur-Solinger und einst Chefsprecher von Radio Luxemburg (der damaligen Radio-Abteilung, die tatsächlich in Luxemburg beheimatet war – und nicht wie heute Fernsehen aus Köln macht(e)) ein schönes Dokument erhalten: einerseits das Autogramm des Sprechers mit der beliebten sanften Stimme und andererseits ein herrliches Foto fröhlicher Zivil-Hippies der 70er.

Man staune: mit so wenig Menschen konnte man damals noch ein 24-Stunden-Programm machen und gut drauf waren auch alle. Sicher, es gab Karriere-Gerangel, aber im Großen und Ganzen herrschte etwas, was heute unvorstellbar ist: Vollbeschäftigung. Wer sich nicht allzu blöd anstellte, bekam irgendwie immer einen guten Job. Und so konnte man auch Radiomachen völlig locker angehen, zumal in der Tat das RTL-Team unbestritten das ist, welches den lockeren Ton, der heute vor allem im Fernsehen üblich gewordenist, in die bis dato "heilige Medienwelt" einbrachte. Ich erinnere mich noch genau an die 60/70er Jahre: Auf WDR schrillte Marias Callas in dreigestrichenen C-Tönen Operarien, und auf Luxemburg trällerten die Beatles. Da war familiärer Klassenkampf vorprogrammiert.

Der Ford Granada als Kultauto für ein junges, dynamisches Team. Das muss man sich heute erst mal wieder auf der Zunge zergehen lassen. Und Jo als Zivil-Schumi – wahrscheinlich hat Michael auch dieses Bild über dem Jugendbett hängen gehabt ...

Die Postkarte stammt ganz offensichtlich aus einer Promotion der EMI (Schallplattenvertrieb), denn rudimentär ist noch von einer Single "Wir singen weiter...(?)" zu lesen. Das Foto stammt von einem Fotografennamens (Peer) Langenbach, ebenfalls ein Solinger, der seinerzeit vor allem durch Prominenten-Fotos sein Geld machte – als ein früher Paparazzi. Seine Bilder waren in der gesamten Yellow-Press zu finden. Es ist bemerkenswert, dass aus dieser Zeit eine Reihe von Solingern in verschiedenen Medien durchaus beachtliche, individuelle Karrieren gemacht haben .... !

Auf dem Foto noch ein paar Berühmtheiten zu sehen: Helga Guitton ("Helga von Radio Luxemburg", denn alle Moderatoren meldeten sich nur mit Vornamen, eine Sensation!) und Rainer Holbe, der heute als Bewusstseinstrainer Manager auf den Kurs ganzheitlichen Denkens zu trimmen versucht (rechts damals, links daneben Foto aus seiner heutigen Homepage).

   
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Als die Zeit völlig durcheinander war, aber alles noch wortwörtlich wie zu Kaisers Zeiten, da schrieb man auch bei Henckels, dem Zwillingswerk, noch alle Korrespondenz und Formulare "per Hand". Eine so wunderschöne Paketkarte vom Grünewald nach Zürich, dass man sie stundenlang betrachten könnten: So viel Stempel, Eintragungen, Aufkleber – dagegen sind doch heutige Computerausdrucke die absolut totale Langeweile.

 
 
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Sie kennen den Spruch, da sei jemand "vor die Pumpe gerannt". Im Ortsteil Merscheid, einst sogar eigenständige Stadt mit dem Stadtteil Ohligs, bis dieser des Bahnhofs wegen eine unfreundliche Übernahme des Dorfes vollzog, dazu ironisch gerne als Fürstentum verspottet, ist es anders herum: das läufts, weil alle die Pumpe verehren. Die Pumpe am oder an Stelle des Pötts, Pött ist die gleiche Stammvokabel wie das englische pit, oder das kohlegrubendeutsche Pütt, die Pumpe jedenfalls pumpt vor allem sprudelnde Gespräche. Auf solingerisch wird das brabbelnde Parlieren "Tottern" genannt. Merke: der Merscheide geht so lange zum Trinken an die Pumpe, bis sein Schwengel schlaff nach unten hängt ... hey hey hey, das darf man doch nicht laut sagen. Doch doch, denn die Merscheider sind die bescheidensten aller Solinger Mitbürger. Sie haben sich längst abgewöhnt, Forderungen zu stellen, bei den Solingern sind sie viel zu oft damit vor die Pumpe gerannt. Da feiern sie lieber laut im Stillen.

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 ST 18.9.06
 Müller in Höhscheid ist ein alteingesesses, geachtetes Fachgeschäft. WMF ist eine angesehene Firma, die Töpfe und Bestecke, Meser und mehr herstellt. Johannes Lafer grinst immer, als käme er bei den Kannibalen in den Topf und freue er sich darauf, dass es ihnen schmeckt. Solingen ist eine Stadt, die berühmt dafür ist, dass hier Bestecke bester Qualität produziert werden und diese Qualität ihren Preis hat. Und: Deutschland hat eine freie Marktwirtschaft. So weit ist die Welt in Ordnung.

Wenn aber nun ein Solinger Geschäft für seine Solinger Kunden zu seinem Solinger Jubiläum von WMF Sachen anbietet zu einem Preis, der unter 50 % des Normalpreises liegt, dann frage ich mich, ob es denn überhaupt noch sinnvoll ist, volle Preise für volle Solinger Qualität zu zahlen, wo WMF es doch billiger anbieten kann. Klar, dass Laber lacht. Wenn der Solinger Geld sparen kann, vergisst er gerne, womit er es verdient.

Fremde, die in die Stadt kommen, suchen übrigens oft verzweifelt, wo es denn "das Geschäft mit den Messern der Marke Solingen gibt?"!

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 Prospektblatt
Jeder Anfang ist schwer, wobei, diesmal ist er leicht. Sehr leicht sogar. Viel zu leicht, nicht nur vielleicht. Denn rechen Sie mal nach: Klein-Leon ist 330 Gramm schwer (=0,33kg) und misst 52 cm. Ergibt pro Zentimeter Körpergröße 6,3 Gramm. Das entspricht vergleichbar dem Abschnittsgewicht einer kleinen Mettwurst. Nun röhren ja die Motorradfahrer mit ihren Röhrenhosen ganz nett durch die Gegend und so ein Beiwagen ist auch röhreneng, aber muss der Junge denn gleich dünn wie ein Regenröhrenwurm zur Welt kommen? Und sich jeder auch noch freuen?

 OldFri fand diese Annonce im Solinger Tageblatt
Beginnen wir doch mal mit dem Ende. "Das letzte Hemd hat keine Taschen" ist jedem Ur-Solinger klar. "Der erste Sarg hat keine Theke" auch, weshalb man die vielleicht in der Hoffnung möglicher Kumpanei mitgebrachte Bierflasche brav am Friedhofskapellen-Eingang abstellt. Disziplin ist eben alles, selbst in sehr, sehr traurigen Momenten weiss der Solinger eben, was sich gehört. Denke an Dich, selbst zuletzt (jetzt weiss ich nicht genau, ob da wirklich ein Komma hingehört).
 Dieses Foto machte OldFrie