Solingen ist schön (2)

SOLINGEN IST SCHÖN.
Denn wo gibt es sonst noch ...

 

Wo gibt es sonst noch ...

legen Jugendliche, eventuell in diesem Stadtteil bekifft vom Anrühren fettiger Süßwaren, ein solch treues Gelöbnis zur Heimat ab, wie es einst nur die Soldaten taten, die für Kaiser, Volk und Vaterland jubelnd in den Krieg und damit in den Tod zogen? "GRÄFRATH, sonst nix", klingt zärtlich-poetisch wie eine Liebensschnulze und ist romantisch bis zum Absprayen. Klar, und die Dortmunder, das sind die Ficker. Oder sind Gräfrather Dortmund-Ficker? Egal, die Ficker haben nur ein Loch und die Gräfrather zwei offen. Ein grünes und ein braunes. Daran kann man sie unterscheiden. Nun poltern Sie aber mal nicht gleich los. Denn wie sie lesen, beide gebieten: Lärmschutz !
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Wo gibt es sonst noch ...

die wörtliche Umsetzung von
"Messer, Gabel, Schere, Licht
sind für kleine Kinder nicht"? Und schwupps, ist die Schere zerknittert, wie von Riesen-Geisterhand. Die schneidet dann nicht mehr so gut, steht aber vor dem Schneidwarenmuseum (Klingenmuseum). Und so wie Zürich mal vor ein paar Jahren überall Kühe in die Stadt stellte, die von Künstlern gestaltet wurden, und Würzburg Schweine, und Berlin Currywurstbuden, so stehen in Solingen Scheren rum. Wir werden noch eine zu sehen bekommen, später. Außerdem wurde in Solingen der Reim erfunden:
"Schwerter, Säbel, Dolche
nehmen nur die Strolche".
Oder:
"Mit der Gabel in den Mund
sticht sich mancher Esser wund."
Und:
"In der Folter tun die meisten singen,
spürn sie in sich Solinger Klingen."
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Wo gibt es sonst noch ...

gibt es mitten im Stadtgebiet Straßen, auf denen deshalb keine Autos fahren, weil es erstens so eng ist, dass man sie besser nicht benutzt und sie zweitens so holprig sind, dass man sie nur einmal benutzen kann (bevor man das Fahrgestell wieder austauscht). Solingen-Gräfrath hat es geschafft – und das ist ganz ehrlich gesagt eine meisterhafte, ungemein anerkennenswerte Leistung – ohne jegliches Fahrverbot eine verkehrsberuhigte Zone zu schaffen. Indem das Fahren so unattraktiv ist, dass man es am besten den Einheimischen überlässt, die hier notgedrungen ihren Wocheneinkauf zur Haustüre fahren müssen. Aber schön aussehen tun die Straßen, vor allem, weil sie seit weit mehr als 100 Jahren genau so aussehen! Und das ist eine tolle Leistung. Eben: Solingen ist schön.


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Wo gibt es sonst noch ...

gibt es Geschichte zum Erleben und Anfassen und Geniessen und Bestaunen so authentisch, so unmuseal-natürlich, so propper erhalten und so liebevoll gepflegt wie in Gräfraht? Das Dorf sieht sich selbst gewissermaßen im Spiegel seiner Geschichte, und die ist lang und schicksals-schwanger, bedeutend und facettenreich. Gräfrath ist daher die Königin der Ortschaften, aus denen Solingen zusammengestoppelt ist – das jedenfalls ist die feste Meinung der Gräfrather. Sie davon abzubringen nützt nichts, denn sonst wären sie sich ja bewusst, dass sich hier seit anderthalb Jahrhunderten nichts wesentliches verändert hat. Was man der Gräfrather Mentalität von außerhalb – so ab Kluse, Central und Apfelbaum – auch gehässiger Weise nachsagt. Nein, das ist ungerecht, denn die Gräfrather verstehen nicht nur aufs Beste, zu feiern, sie laden auch andere ein, zu kommen – und dann schnell wieder zu gehen. Denn unter sich sind sie am liebsten.


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Wo gibt es sonst noch ...

wehrhafte Hecken, die Wind, der Nachbarn böse Blicke und Worte sowie umherirrende Geister erfolgreich ab- und fernhalten. Viele Fachwerkhäuser sind, so scheint es, einfach mitten auf die Straße gebaut, oder die Straße wurde direkt am Haus vorbei gebaut, so genau weiß man's hinterher nicht mehr. Übrigens ist auch die Müngstener Brücke eine Fachwerkbrücke; denn Fachwerk sind Bauwerke, die aus Stäben bestehen, die an ihren Enden miteinander verbunden sind und Druck- und Zugkräfte (geschickt) verteilen (wenn nicht, stehen sie nicht lange). Sollten Sie mal ein Fachwerkhaus bauen wollen, müssen Sie sich nur die Formel merken 2k=s+f, zweimal die Anzahl der Knoten (k, Verbindugnsstellen) ist gleich der Summe aus Anzahl der Stäbe (2) mal Anzahl der Fesselungen. Das wussten die alten Bergischen aber nicht – und deshalb halten ihre Häuser Jahrhunderte. Der Bergische zieht eben natürliche Begabung künstlicher Intelligenz vor.
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Wo gibt es sonst noch ...

eine Jreute, eine echt Wasserablaufrinne beidseits der Straße? Hier floss früher auch das Abwasser der Häuser rein, bevor es die Kanalisation gab. Allerdings unproblematisches Abwasser, nur Seifenlauge und so (Spül- und Waschwasser), denn gepinkelt und geschissen wurde im Lokus (die Tür mit dem Herzchen) hinterm Haus; das sammelte sich in einer Grube, weshalb man dort nie lange sitzen konnte, ohne ohnmächtig zu werden und ein- oder zweimal im Jahr kam die Fäkalienabfuhr und pumpte alles ab (wo es hinkam, interessierte keinen, denn der sparsame Solinger an sich hatte den Schlamm vom Driethüsken – so hießen die Dinger – längst im Garten verteilt, auf Erdbeeren, Kopfsalat und die Stangenbohnen.) Fäkalienabfuhr ist übrigens heute offiziell Angelegenheit des Vermögensbetriebes der Stadt Solingen, weshalb in Solingen das Sprichwort erfunden wurde, man könne aus Scheiße Geld machen, da diese städtische Instanz die Lizenz fürs Scheißeschippen öffentlich ausschreibt.
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Wo gibt es sonst noch ...

gibt es so bedeutende Straßen, die trotz ihrer Kleinheit gleich mal vier Schilder erhalten, bevor man auch nur eine Radumdrehung oder einen Schritt in sie getan hat. Hier muss selbst der geübte Aufofahrer erst mal abrupt bremsen und lange prakkesieren (das ist Solingerisch für Denken), ob er denn jetzt nun weiter fahren darf oder nicht. Der Weg führt übrigens nach Nümmen, das noch heiliger ist als das Heilige Gräfrath. Nicht wenige Nümmener (zum Glück gibt es aber nur sehr wenige Nümmener) halten Nümmen schlichtweg für den Nabel der Welt, die Achse des Universums und den Urknall der Menschheit. Vor allem, wenn das Nümmener Heimatfest, eines der kultigsten in der ganzen Stadt, wieder einmal tobt, mit Pölchenscheeten und Blasmusik, dann glauben das im übrigen einige tausend Besucher auch. Und das tolle ist: es stimmt (sage sogar ich als Nichtnümmener).
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Wo gibt es sonst noch ...

Fachwerkhäuser dieser Bracht, Kleinheit und Ausschmückung als im Ortskern von Nümmen. Der Ortskern hat im übrigen bescheidene Maße, er besteht im Prinzip aus diesem Haus. Also, wer wissen will, wo es und wie es früher in Solingen schön war und ist: Nümmen lädt ein.


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Wo gibt es sonst noch ...

eine lokale Urpferdrasse, das Solinger Arbeitspferd. Es hat einen großen Kopf, damit der Solinger, wenn ich meiner Großmutter postum glauben darf, diesem Pferd das Denken überlassen kann und muss. Es wird vor jeden Karren gespannt und zieht jeden selbigen wieder aus dem Dreck. Es vergaloppiert sich zuweilen, fällt aber von Montag bis Freitag ziemlich in Trab und bringt damit viele auf selbigen; es macht viel Mist (Sprichwort: "Wo geritten wird, fallen Kötteln") und tritt nicht selten nach hinten aus. Gezüchtet wird das Solinger Urarbeitsferd noch reichlich, denn Pferdegulasch, Pferdesauerbraten, Perdswüörschker und Fohlenfilet gelten in Solingen als Delikatesse. Was des Reiters Ekel, ist der Hausfrau Lob, denn Pferdefleisch zart zu braten ist eine hohe Kunst. Zum Zöppkesmarkt, so ist das Leben nun mal, gehen bestimmt an die vier, fünf solcher Ackergäule in Form von Brüh- oder Röstwurst über die Pappteller.
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Wo gibt es sonst noch ...

Spielplätze für junge Tiere? Solinger Vorstadtstraßen jedenfalls bergen so manche Überraschung, wenn hier die Entenküken Nachlaufen spielen (immer hinter der Mutter her), Welpen schauen, wo sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen, Fohlen durch den Vorgarten traben oder Lämmer den Stadtrat parodieren (indem sie genauso laut blöken) – spielende jung Tiere sind immer alle ACHTUNG!!! wert, das ist wohl wahr.


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Wo gibt es sonst noch ...

Hochlandschafe, die in rauher Natur sich selbst und den bergischen Stürmen, Unwettern und mageren Wiesenkräutern überlassen sind? Als wäre es ein Stück der Auvergne oder eine Sommerweide im Engadin – der Stadtrand von Gräfrath bietet alles, was auch sonst auf der Welt zu finden ist, und umgekehrt. Deshalb, oder weshalb (?) in die Ferne schweifen, sieh, das schöne Solingen legt's Dir nahe (oder hab ich jetzt wieder was durcheinander gebracht?).


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