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Stadtfest 2008 (2) |
Sagt eine Bekannte zu mir: "Die hat aber schön gespielt, die Band"
Ich drehe mich rum. Sagt jemand anders zu mir: "Is dat laut! Dat häulste nit ut."
Ich wende mich ab und höre sagen: "Wann jött et denn ens rechdeje Mussik?"
Will sagen: man ist in Solingen.
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Als altem Solinger überfallen einen ja manchmal nostalgische Gefühle. Und dann erinnert man sich, wie man sich vom ersten selbstverdienten Geld bei Fisch-Schneider in der Kirchstraße ein Fischbrötchen und eine Cola gekauft hat. Und bei einem Stadtfest muss man halt seinen Erinnerungen und Gefühlen nachgehen, auch wenn das Geschäft inzwischen einen renommierten Namen von der ehemaligen Konkurrenz trägt.
HERRLICH. In diesem Geschäft wird man dennoch genau so bedient wie früher. Eine Mischung aus "jetzt drängeln sie mal nicht so" in der Stimme und "Nun sagen Sie schon, was Sie wollen", also das, was man in Solingen Freundlichkeit nennt und für die man dankbar ist und erwartungsfroh lächelt, auch wenn die Bedienungskraft es nicht tut (ehrlich, würden Sie lachen, wenn Sie jeden Tag nach Fisch riechen?). Und der Backfisch ist immer noch so wie früher: wunderbar frisch und saftig, die Kruste kross und ideal-goldbraun – und gesundheitlich gesehen so grandios ungesund, aber lecker! Da möchte man immer noch sofort ein zweites bestellen, obwohl schon nach einem halben der Magen unmissverständlich ruft: Hör auf, du Blödmann ! Aber leckerrrrr !!!! Und die Hände: so herrlich fettig. Köstlich.
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Superpreise haben viele. Aber Baseball-Kappen als Unterhose nicht.
Na ja, wer sich so eine Kappe geschickt umbindet, kann sein Gemäche drin bequem unterbringen. Hoffentlich. Sonst kann man ja die Kappe eine Nummer größer nehmen.
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Wo wir gerade bei strammen Kerls sind. Dieser hier ist Solingens Dream Man Number One. Peter Hahn, der Waffenschmied. In der Schwanen-Apotheke im Sali-Haus führt er hinter einem protzigen Aufsteller für Sälbchen oder so etwas ein trauriges Leben: schaut immer mürrisch auf die Kundschaft und kann doch, weil in Bronze gegossen, nicht zuschlagen bei diesem Chaos der Medikamenten-Zuzahlerei und dem kindischen Getue um die billigste Krankenkassen-Schachtel.
Dafür hat er aber eine traumhaft schöne Figur und ist als Denkmal eine solche – gedopt übrigens! Durch Arbeit mit Muskelaufbausubstanzen versorgt. Nun wartet er gespannt darauf, an der alten Stelle auf dem alten Markt als Denkmal wiederaufzuerstehen.
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Da aber hat man ihn bereits an die Wand genagelt, als nunmehr einige Jahrzehnte altes Bronzerelief. Er schaut auf den alten Markt, wo ein alter Bekannter von ihm sitzt, auch schon seit Jahrzehnten.
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Nämlich Peter Witte, der Heimatdichter. Und er hält jenes Buch in der Hand, in das die Solinger schauen, wenn Sie nicht weiter wissen. Und was steht da geschrieben? Eben: nichts.
Darum sind Solinger total coole Typen. Weil: was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. (Achtung, das war jetzt gerade ein intellektueller Witz; das fällt mich immer nach einem viel zu großen Fischbrötchen an, wenn mein Magen nach Schnaps verlangt).
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Und deshalb ist es auch kein Wunder, dass Witte guckt, wie er guckt: mürrisch. Solingerisch. Do fallen demm die Öügsken ut dem Kopp on he kiekt janz bedröppelt. En lostijen Konden es dat nit.
Wahrscheinlich denkt er sich:
Wenn es dat Solig mir besenn,
dann frog ech mich, hatt et noch Senn
dat ech hie sett un prackesier
do kriech ech boul et arme Dier.
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Aber selbst das zwischen Alter Markt und Fronhof in die Ecke gedrängte Löwenbaby (wofür steht eigentlich ein Löwe in Solingen, für den Bergischen Löwen, der herrscher-geschlechtlich eigentlich ein flandrischer Löwe ist, oder für den extrastarken Düsseldorfer Löwensenf?) guckt ziemlich bedröppelt und miesepetrisch drein. Klar, wenn man ihm dauernd an den Ohren zupft oder einen Nasenstüber gibt, wie die abgescheuerten Stellen verraten.
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Diese Kirche wird Stotterkirche oder Fritz-Walter-Gedächtnis-Kirche genannt. Stotterkirche, weil der Bibelsatz "O Land, Land, Land, höre des Herren Wort" von den Solingen als umständliches Gelaber aufgefasst wird. Solingerisch würde reichen: "Hüör ens!". Und die Kugel auf dem Turm galt als riesiger Fußball. Sie hatte ein Kreuz auf dem Scheiterpunkt, das wiederum hat letztens der Sturm abgeknickt. Kirche ohne Kreuz geht nicht, entschied selbst die wie alle anderen auch klamme Kirchengemeinde und beschloss, es zu erneuern, zusammen mit einer Generalsanierung mancher Kirchenteile. Und deshalb hat der Turm derweilen ein neues Aussehen, das ihn rein baulich durchaus attraktiv macht. Was dem Kölner Dom seit 700 Jahren gut steht, nämlich immer ein Gerüst, muss doch auch einer Solinger Kirche passen, zumal exakt an dieser Stelle, dem Gründungskern Solingens, der Logik nach früher eine katholische Kirche stand. Evangeglisch wurde sie übrigens, historisch bezeugt, durch Anwendung von Waffengewalt. Ach, Christen können sich so herrlich fetzen und brüderlich-schwesterlich spinnefeind sein, wie Solinger Gemeinden weit über jede Ekelgrenze hinaus immer wieder gerne demonstrieren.
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Eine kaum beachtete Kuriosität ist, dass mitten in der Stadt um die ev. Stadtkirche herum Obstbäume stehen statt der sonst üblichen Schickimicki-Garten- und Parkbäume. Vielleicht sollen sie ja an biblische Gleichnisse von Sündenfall mit dem Apfel oder den Kirschenin Nachbars Garten erinnern. Oder jene Früchte sein, die im Leben immer zu hoch hängen.
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Für alle, die nicht mehr wissen was das "Fron" bedeutet: dies waren Bauerngüter und -höfe, die von frühmittelalterlichen Fürsten als "Lehen", Beleihung, gegeben wurden und deren Nutznießer für den Fürsten unentgeltliche Arbeit (Fronarbeit) leisten und/oder Teile der Ernte abgeben mussten. Das ist das gleiche wie heute: der Staat lässt einen hier wohnen, dafür muss man ihm große Anteile des Einkommens geben, also für ihn arbeiten. Und deshalb ist es rechtens, wenn auf diesem Fronhof die Solinger Fronarbeiter auch ab und zu mal feiern dürfen, um sich von der Plage namens Steuern zu erholen, indem sie vom wenigen Geld, das übriggeblieben ist, Alkohol kaufen und dann jämmerlich weinen. Daher heisst die Veranstaltung, diesmal im Stadtfest integriert, auch Weinfest.
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Manche dieser Bürger sind so vornehm, dass sie die zur Kleidung farblich passende Weinsorte trinken oder sich wahrscheinlich umziehen, wenn sie den Wein wechseln. Su'n Stuss ewwer ouch.
Ich dagegen bleibe lieber bei der Weinfarbe, die suggeriert, ich weiß was: Weißwein.
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