Stadtfest 2008 (3)

Der Solinger an sich ist genügsam. Hauptsache, alles ist billig und die Portionen sind groß. Dann hat dieser Menschenschlag alles, was er braucht: Freude und einen Grund, über alles zu meckern. Denn ist mal was NICHT gut, heisst es "Dat wor ewwer nix". Ist mal was DOCH gut, heisst es: "Warom hant die dat nit fröher ouch alt jekonnt?" – Jajo dat.

 

Wein macht hungrig. Und da das Weinfest von Pfälzer Winzern durchgeführt und beliefert wird (die Pfalz ist die Toscana der Solinger), gehört natürlich auch fremdländisches Essen dazu, wie der Zwiebelkuchen, in den zu beißen sich auch Gebissträger trauen können. Und der dem Solinger Speckpfannekuchen doch recht nahe kommt. Also, guten Appetit bei dieser Winzerpizza.


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Aus Witzhelden dagegen sind diese Käsewürfel, die der Solinger schon alleine deshalb braucht, weil es seit Jahrzehnten Tradition ist, dass zum Wein unbedingt Käsewürfel auf dem Tisch stehen müssen. Das ist zwar in anderen Gegenden der Welt nicht unbedingt Standard, aber für Solingen ein Muss. Dieser Käse hier ist nicht grün angelaufen oder von Würmern durchsetzt, das Gegenteil ist der Fall: ein köstlicher, unbedingt empfehlenswerter, herzhafter und vielfältiger echter Witzheldener Bauernkäse mit Kräutern oder Paprika, Pfeffer und anderen Ingredenzien. Wahnsinnig gut, so rustikal, dass man ausnahmesweise mal Schleichwerbung für den Witzheldener Bauernladen Rusticus machen darf (Wupperhof oder Glüder nach Witzhelden hoch, an der Kirche rechts, dann ca. 1 km auf der rechten Seite). .
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Auch in Solingen gelten strenge Gesetze und so hoffen wir, dass dieser Stropp nicht an Vaters oder Mutters Wein genippt hat, als er viel zu viel Zwiebelkuchen aß, sondern sich an der süßen, viel zu kalten Limonade den Magen verdorben hat. Jedenfalls lässt das Bild vermuten, dass es bei dieser bühnenreifen Darstellung um einen Zusammenhang zwischen Körperhaltung und dem deutlich lesbaren Bühnen-Ein- und -Ausgangsschild geht. Boh, is' mir sclecht ....
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Da fehlen dann nur noch ein paar Runden auf diesem 90 Jahre alten Riesenrad, dessen rechte Gondel nicht mit einem Fenster versehen ist, sondern durch die man auf die Fenster schauen kann. Mit einem am Weinstand angelehnten, aber durchaus noch sprechfähigen Winzerfestbesucher verwickelte ich mich in die philosophische Frage, ob ein kleines Riesenrad, denn ein solches ist dieses hier, auch ein Riesenrad sein könnte oder ob es Kleinrad heißen müsste. Weil, riesig wäre ja größer als Durchschnitt, aber dieses Riesenrad ist unterdurchschnittlich klein. Sie sehen, das das intellektuelle Niveau, dass dem Solinger Gemüt entspricht; über solche Themen kann man in Solingen stundenlang diskutieren, Hauptsache, es kommt nichts dabei raus.


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Ganz anders dagegen die Anregungen, die man von der Kirmes auf der Hauptstraße (eine Super-Idee !!!) bekommt. Zum Beispiel an dieser Spielbude. Rein von der Vision her meinte ich, unseren lieben Oberbürgermeister, den Herrn Hauk, im Foto auf der Reklamewand erkannt zu haben, wenn auch das Bild aus seinen frühen Jahren stammt. Doch die Idee ist gut: der Städtische Finanzhaushalt als Spielbude. Wer einen Zuschuss haben will, als Verein, Institution usw., muss erst einmal ein Los kaufen. Oder mit Pfeilen auf Luftballons schießen (was ja schon heute der Realität des richtigen Lebens entspricht). Und es gäbe Trostpreise (auch heute werden schon manche aus dem Etat abgespeist) und Hauptgewinne. Die nur erhält, wer in der richtigen Partei ist. Die Idee ist irgendwie apart und bedarf beim nächsten Weinfest der intensiven Diskussion.


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Wie gesagt: die Stadtverwaltung als Spielcasino. Da frage ich mich: ist sie es nicht bereits? Wird hier nicht Roulette gespielt? Sitzen hier nicht die Leute um Tische herum und pokern? Können wirklich alle 17+4 zusammenzählen? Hat nicht mancher noch ein As im Ärmel? Sind die Würfel nicht schon längst gefallen? Reizt nicht mancher viel zu hoch? Hortet nicht mancher die Joker oder zieht sie zur rechten Zeit? Und die derzeitige alles bestimmende Koalition: rouge et noir, schwarz-rot !!!! Fait votre jeu – sie macht Euch ein Spielchen vor. Wenn das kein Menetekel, ein Zeichen an der Wand ist. Und wenn ich dieses Zeichen an der Wand, die Werbefigur der ehemals real existierenden Melchior-Bäckerei recht deute, lässt uns die Spielhölle Stadt am ausgestreckten Arm verhungern und präsentiert uns Luftnummern. Sie sehen: in Solingen ist nichts geheim, alles wird in Symbolen wahrheitsgemäß offen gelegt.
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Vielleicht ist dies ja schon die nächste geheime Botschaft: die Spezialität Solingens, laut Rückenreklame, ist, das es immer nur im Kreis vorwärts geht. Man dreht sich um die eigene Achse. Alles bimmelt und scheppert, aber man kommt nicht von der Stelle. Selbst die Kinder schauen fragend. Haben Sie das Spiel durchschaut?


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Warum muss man kindliche Gehirne, die viel leistungsfähiger sind als die mancher Erwachsenen (das ist keine Lästerei, sondern biologisch beweisbare Tatsache), mit solch grellen Farben martern? Genau wie man Kleinkindern heute die aggressiv-laute Musik antut (was laut UNO als Folter gilt) und sich dann wundert, wenn sie in der Schule durchgängig versagen. Erst werden sie zappelig gemacht, bis ihre Nerven blank liegen, dann stopft man die Kleinen mit Psychopharmaka voll. Man könnte meinen, auf einem Rummelplatz ist das nun mal so. Aber warum kann Rummel nicht auch dezent geschehen? Wobei, und das ist das riesengroße Plus dieser Kirmes, hier nur wirklich altbackene, dafür aber um so schönere Fahrgeschäfte aufgebaut waren, die an die "gute alte Zeit" erinnerten. Aber weh tun solche Farben doch schon. Auch Kindern. Nur, die haben keine Alternative.
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Nicht nur beim Kinderkarussell, auch in der Kalorienbomben-und Zahnzerstörer-Bude geht es grell zu. Das ja wohl eben ist Kirmes: jene Grenze zwischen Tabubruch und Bezahlbarkeit, zwischen altvertrautem "immer das gleiche" im positiven Sinne und dem Nervenkitzel des Neuen.

Ich mag ja persönlich viele Fehler haben, aber einer meiner positiven Eigenschaften ist, dass ich an solche Wagen problemlos vorbei gehen kann. Und ich bedaure die, die hier in den Strudel ihrer Süßsucht gezogen werden.


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Ich erinnere mich noch genau, wie – es muss verdammt lange her sein – solche Kokosnuss-Stücke für uns Kindern der Gipfel der Exotik waren. Vor allem, wenn man erzählt bekam, dass sie von Affen gepflückt wurden. Welch ein Abenteuer.

Übrigens, rein sprachlich könnte man vergngüglich mit dem Händler vor den Kadi ziehen. Denn er macht eine verbotene Falschaussage; das Schild grenzt an Betrug. Theoretisch müsste der Händler eine komplette, ganze Kokusnus für einen Euro verkaufen. Und nicht, wie er vorhat, Stücke dieser Nuss. Es steht wörtlich da "Kokusnuss Stück 1,- [Euro]", so wie auch in jedem Lebensmittelgeschäft Obst stückweise angeboten wird. Wollt er es anders anpreisen, muss dort entweder stehen "Stücke", also Mehrzahl oder ein Bindestrich zwischen Kokosnuss und Stück eingefügt werden: Kokosnuss-Stück 1 Euro. Solingern, denen so etwas auffällt, nennt man Korintenkacker. Aber es macht Spaß, damit die Leute zu nerven und ihnen eine harte Kokosnuss zu knacken zu geben.


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Noch mehr harte Nüsse. Aber sind Mandeln Nüsse? Nein, denn das Innere der Früchte dieses zur Familie der Rosengewächse gehörenden Mandelbaums sind Fruchtkerne. Mit 570 kcal pro hundert Gramm gehört die Mandel sowieso nicht zur Diätkost (Butter hat nur wenig mehr Kalorien). Aber dann auch noch mit Kandis, gebranntem Zucker überzogen: Zahnarzt und Internist (Diabetis II) werden sich freuen.

Aber wie immer im Leben: Alles, was gut ist, ist verboten. Und alles, was man nicht soll, möchte man am liebsten tun. Gut, dass es wenigstens süße und bittere Mandeln gibt, damit man unterscheiden kann.


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Der Solinger ist gebildet, ganz ohne Frage. Und deshalb spricht er fließend Hindi. Denn aus dieser indischen Sprache stammt der Begriff Bandana. Er bezeichnet ein viereckiges Tuch, das um den Kopf gebunden ("Seeräuber-Tuch") oder als Halstuch getragen wird. Da das Stadtfest "Echt. Scharf. Solingen" heisst, hat sich der Händler schon mal sonderangebotsmäßig darauf eingestellt.


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