Ende eines Wahrzeichens

2. August 2008, eine Ära geht zu Ende. Karstadt und das Turmzentrum, das waren nun über 30 Jahre eine Einheit, die zur charakteristischen Silhouette von Solingen und zugleich zur Infrastruktur der Stadt gehörten. Karstadt ließ erst das gekaufte markante Turmgebäude verkommen und dann das Warenangebot (oder umgekehrt), oder – wahrscheinlich wieder einmal – die Solinger Käufer waren nicht bereit, genügend Geld für Waren auszugeben, die sie gar nicht haben wollten. Jedenfalls, kaum war mit Fördermitteln, also Geschenken vom Land, der Vorplatz (Neumarkt) neu gestaltet, beschloss Karstadt endgültig das Ende seiner Solinger Filiale. Warum? Weil Karstadt eine neue Geschäftsstrategie hat, zu der Häuser in der Struktur wie Solingen einfach nicht passen. Die Politik hat des öffentlichen Eindrucks wegen versucht zu retten, was nicht zu retten war. Karstadts Strategie, laut Geschäftsbericht, ist: größer, Mode, emotionale Themen. Dafür war Solingen wohl zu altbacken. Kurios, das neue Konzept "Hofgarten" will genau dies versuchen.

Der Pietät wegen sind die Bilder mit einem Trauerrand versehen.

 

Fotografischer Abschieds-Spaziergang durchs Gebäude und ein letzter Blick von außen: Kommt Wehmut auf? Ja. Aber andererseits: Hau weg den Scheiß ...

Etwas grau und seelenlos, etwas starr (was früher "modern" war), etwas zu eckig: das Turmzentrum, das wie ein Stiftzahn in eine unterirdische Passage reicht, die seinerzeit bei der Eröffnung als die modernste ihrer Art Europas galt. Aber das war ja auch in den 50er Jahren die Hauptstraße als Shopphing-Meile, damals sagte man noch "Einkaufsstraße": kein einziges Haus dort ohne ebenerdigen Laden. Und im Turmzentrum: lange Zeit quirliges Leben und dann schleichend im Laufe der Jahre siechender Tod bis hin zu öder Langeweile.


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Vertrautes Bild: Parkdeck Grün war das bequemste, ansonsten dachte man in Farben und nicht in Nummern bei den Parkdecks: "Ich steh' heute auf Gelb" konnte man sich gut merken.


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Dies war der ultimative Solinger Intelligenz-Test: Wenn man auf Blau war und der Aufzug in 10 und man wollte auf E, musst man dann denn Aufzug runterholen (roter Pfeil, abwärts für alle Aufzüge) oder auf dem grünen Dreieck drücken, weil man selbst nach oben wollte. Ich fürchte, für viele Solinger bleibt diese Frage bis zum Abriss (oder Sprengung) ungelöst.


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Ich habe mich immer gefragt, wieso 12 Personen 900 KG ergeben. Bin ich denn zwei ? Siehe des Solinger Richard Davit Prechts Buch "Wer bin ich – und wenn ja wie viele"


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Das Treppenhaus und der Eingang E: schon immer irgendwie eine Mischung aus Grauen und Belanglosigkeit. Übrigens: was mir fehlen wird, ist der schnarrende, verreckende Gong der Aufzüge, das Geräusch einer zerbrochenen Prozellanglocke, das uns nun 30 Jahre in den Ohren gescheppert hat.


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Die Farbgestaltung im Zugang der Parkdecks konnte man bei wohlwollender Wertung fast schon als Kunst durchgehen lassen – einzig- und eigenartig war sie in jedem Fall.


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Bunkeratmosphäre und Verbotsschilder überall: mit dem Solinger kann mans ja machen.


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Parkdeck Grün, Mittelpunkt des Parkhauses, mit Kasse und direktem Zugang zu Karstadt und Eingan in die Turmpassage. Ende, aus, vorbei. Improvisation in den letzten Tagen: Karstadt ausverkauft sich im Erdgeschoss.




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Einladend für die große weite Welt, solch ein Reisebüro. Ja, Sterben ist Elend.


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Sie verlassen Parkdeck grün für immer ... !


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Kassensturz: Millionen verdient, viel Geld verloren, Game over !

Pikant ist und bleibt, dass über viele Jahre im Turmhaus eine Außenstelle des Finanzamtes Solingen-Ost war, nämlich die BP, Betriebsprüfung. Klar: von hier oben hatte man den besten Überblick, wer gerade mal wieder in seinen Büchern die geschönte Wahrheit eintrug ...


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Eigentlich waren diese offiziellen Namen nie so richtig "in Volkes Munde". Man ging "zu/nach Karstadt" oder "ins Hochhaus" oder einfach in die Passage. Auch hatte das Gebäude kurioserweise nie einen wirklichen Spitznamen, was in Berlin undenkbar gewesen wäre.


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Hier brummte einst der Bär, samstags war es munter wie im Bienenkorb: links Karstadt, rechts der "Holländer", geradeaus Kasse und Parkdeck grün.


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Eingang von der Kölner Straße (neben der Apotheke oder durch die Unterführung von der Linkgasse her), dann stand man vor dem Blumenladen ("Der Holländer"), an dem man wegen der Sonderangebote nie vorbeikam. 10 Tulpen für 'ne Mark, es war einmal.


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Manchmal bedurfte es schon des Mutes, sich in das dunkle Loch des Bunkers zu begeben, der Turmpassage hieß.


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In diesen Felshöhlen konnte es einem schon manchmal ganz nett schwindelig werden – und nicht selten sah man Menschn, die die Orientierung verloren hatten. Aber das ist grundsätzlich in Solingen nicht unbedingt die Ausnahme.


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Dies war immer die Ladenfläche, mit der man so rechtes nichts anzufangen wusste. Mal als Ausverkaufs-Resterampe benutzt, dann als ausgelagerte Teppich-Abteilung, davor einige andere Geschäfte: verkaufspsychologisch war der Raum schon immer eine Katastrophe: ohne jegliches Licht, im Inneren der Grube. Esoteriker haben hier immer schon schädliche Strahlen erkennen wollen ...

Und nett auch der Freudsche Fehler: gibt es auch unfachmännische Beratung ...?


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Ein Bild mit hohem Symbolcharakter: im Untergeschoss der dreistöckigen einstigen Karstadt-Filiale hat man Kunden und Mitarbeitern gleichermaßen den Stuhl vor die Tür gestelt. Irgendein findiger Aufräumer ließ das Sitzmöbel fotowirksam mitten im Raum stehen.


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Die Parkdecks: ach, was war das kurz vor Weihnachten immer eine wilde, verwegene Jagd nach dem letzten freien Parkplatz. Ein solches Parkhaus mit so viel Platz und Stellfläche wird es nie wieder irgendwo geben.

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Werbung kann grausam sein, grausam ironisch. Die Displays hängen noch, die Lebensmittel-Abteilung ist längst besenrein abgewickelt. Hoffen wir, dass alles schöner, größer und moderner wird – in einer völlig ungewissen Zukunft.

Irgendwie erinnert das Ganze an das Abschiedslied aus dem Musical Anatevka, als die Bevölkerung das Dorf verlässt. Voller Wehmut blick man zurück – aber: was verlässt man schon wirklich? "Nur" die Heimat.


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Das Karstadt-Café – ein wirklicher Treffpunkt, Dorfplatz, erschwingliches Vergnügen auch für kleine Geldbeutel. Und ein Klo!, Rettung in oftmals letzter und höchster Not.

Im Café hielt zuletzt Solingens singender literarischer Bezirkspolizit Maik Brückmann, das vielleicht derzeit einzige wirkliche öffentliche "Original", seine Bürgersprechstunden ab. Ob wirklich Ernstes besprochen wurde, bleibt Dienstgeheimnis.


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 Plötzlich bekommt dieser Name eines Second-Hand-Kleiderladens eine doppelte Bedeutung: Trotz und eine gewisse Chupze: Karstadt geht, das Turmzentrum wird dicht gemacht – na und?

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Kaum aufgestellt, müssen jetzt die Schilder neu gemacht werden. 600 Parkplätze im Parkhaus fallen mitten in der City weg. Weswegen Lokalpolitiker felsenfest davon überzeugt sind, dass nun mehr Leben in die Stadt kommt und alles besser wird. Gute Nacht.

Neues Dreieck, Tückmantel-Gebäude wird erneuert, der Neumarkt ist neu, die Banane (sprich Bushaltestelle) neu, da wird es Zeit, dass das, um das herum alles geschehen ist, endlich weg kommmt. Leute, sammelt alte Postkarten, bald wird dieses Bild für immer verschwunden sein.

 
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Karstadt "von hinten unten", an der Ein-/Ausfahrt Weyersberg/Friedrichstraße. Deutlich ist die funktionale Dreistufigkeit des Gebäudekomplexes zu erkennen.


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Bis zuletzt Zankapfel: Darf, muss, soll der "Hedderich-Pavillion" (benannt nach dem Inhabernamen des langjährig dort untergebrachten Blumen-/Geschenke-Geschäfts) abgerissen werden oder als Denkmal stehen bleiben. Denkmal wofür?


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Hinter dem Eingang zum Hochhaus war immer schon eine Freifläche, die noch nie genutzt wurde. Eigentlich ein Filet-Stück. Man fragt sich, wenn es schon immer nicht für sinnvolle Verwendung gut war, wieso soll nun ein neues Center hier Besseres auf die Beine stellen können? Nur weil es moderner gebaut ist? Aber die Lust der Solinger auf Ambiente und Lebenslust lässt sich wohl kaum so intensiv modernisieren. Wenigstens Hahnköppen mit Bierzelt hätte man hier machen können.


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Und auch diese Freifläche blieb ewig eine Frei-Fläche, bis auf wenige Autos der Hotelgäste, die mal hier parkten. Unerlaubt. Alles aus und vorbei. – Halt, nicht ganz !!! Denn das Turmhotel bietet noch für einige Monate (Ende Oktober 2008?) Sonderpreise für Solinger. Ein letzter Blick aus luftiger Höhe. Echt empfehlenswert.


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 Frank Püttbach hat auch das Elend in stimmungsvollen Bildern festgehalten.