Totterblotschen (37)

Die neue Mitte. Die CDU sagt gerne von sich selbst, sie sei schlauer als die SPD. Was im Falle von Solingen natürlich gegenteilig bewiesen werden kann. Schröder, Gerhard, unser Gasprommi-Kanzler, köderte ja einst Politikverdrossene mit dem Slogan, man würde der Neuen Mitte geistigen Raum bereiten. Da die SPD jedoch eher geistiges Rheuma als mentale (Frei-)Räume zu bieten hat, verflog der Gedanke bis die Kanzlerin Merkel, Angela, für sich die Neue Mitte entdeckte und sie der CDU einverleibte. Die Mitte sind wir, wo wir sind ist die Mitte, aber wir können nicht überall mittendrin sein ... und so ähnlich. Haug, Franz, der CDU-Getreue, Solingens OB, was nicht Oberbeamter oder Ostbediensteter, sondern Oberbürgermeister heisst, dachte, was die Merkel kann, konnte ich schon immer und flugs ließ er ein Tor zur Neuen Mitte entwerfen, was er Rathaus nannte und das nun seinen baulichen Fortgang nimmt. Wer jetzt mit dem Tor gemeint ist, er selbst, oder wer sonst, das lässt er vorläufig mal offen, so weit wie Scheunentore eben offen stehen, die man gerne einrennen möchte. Vielleicht ist es aber auch ein Stück Fußball-EM, vielleicht sollen ja hier die Eigentore geschossen werden, rein politisch.

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Schloss Franzensburg, genannt der Franzpalast

Solingens OB, Franz Haug, ist astreiner Südländer. Schwabe. Und Schwaben haben eine Vorliebe. Sie bauen immer Häusle. Wenns vom eigenen Geld ist, kleine. Wenns mit anderer Leute Geld gemacht wird, große. Franz Haug lässt ganz große Häuser bauen.

Andere Städte haben einen Tanzpalast. Solingen den Franzpalast.
Andere Städte haben eine Franzensburg, wir bald auch.
Andere Städte haben ein eigenes Rathaus. Wir mieten es an.
Andere Städte bauen das Rathaus gerne in Fußgängerzonen. In Solingen wird die meistbefahrene und einzige, dringend notwendige Verkehrsachse, die Konrad-Adenauer-Straße, nur wegen der Idee der neuen Mitte mit Fördermittel bald zum Schleichweg degradiert, nur damit das Verkehrschaos wird wie Franz Haug: Allgegenwärtig und unüberwindlich.



Wie die Baustelle ganz zu anfangs aussah, hat Kerstin-Ehmke-Putsch in bewegenden Bildern auf Totterblotschen 26 festgehalten.

Im August ist Einweihung und Inbetriebnahme, im Mai 2008 sieht es noch ein wenig chaotisch aus. Man weiß, dass Bauarbeiter Wunder vollbringen können. Hoffen und gönnen wir es Ihnen auch diesmal.

Übrigens ist das neue Rathaus rückwärts schon mit CDU-Emblemen bestückt, der orangefarbenen Fahne. Denn organge ist seit der neuen mittigen Angela Merkel die Hausfarbe der CDU, wahrscheinlich ihrer Haarfarbe wegen.

Die CDU stärkt die Mitte und durch das CDU-beschlossene Neue Rathaus in Solingen wird die Mitte gestärkt, nach offizieller Polit-Propaganda. Aber na klar, na logo, selbstverständlich: alles nur Zufall, alles purer Zufall. Klar, und ein Zitronenfalter faltet Zitronen und der Baumkuchen wird aus Bäumen gemacht.

Us Angela, Kohls Mädchen, geht zusammen mit Pofalla (Abkürzung für "Poltischer Obermacker für alle lästig-lausigen Angelegenheiten) auf Sammeltour. Was meinen Sie, was uns Solingern bevorsteht. Ich prophezeihe da ganz mühelos einmal, dass, kaum ist alles fertig, wir hören werden, wegen der immensen Anstrengungen müsse nun gespart werden ... und, aber gerne doch, die Gebühren ständen zur Erhöhung an. Auf das Niveau des Neuen Rathauses. Die orangene Farbe der finanziellen Kapitulation ist ja am Rathaus schon gehisst. Holländer, Oranje-Fans, meidet diese Stadt, Ihr seid hier schon vertreten, vor allem durch Käse aus der Partnerstadt Gouda. Die Liebe zu den Niederlanden geht so weit, dass in Solingen selbst auf Toiletten nach H (Holländer) und D (Deutsche) unterschieden wird.

Wie man sieht, hat inzwischen jemand an der Webcam gewackelt und sie anders eingestellt. Aber komisch, jetzt kommt mir das Rathaus wie der schiefe Turm von Pisa vor. Versinkt es schon vor Scham in den Boden oder bin ich knülle ...???


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Nach der Melodie "Eine Schifffahrt, die ist lustig ..." zu singen:

Eine Busfahrt, die ist lustig,
eine Busfahrt, die ist schön,
denn da kann man viel vom Rathaus
links am Wegesrande sehn.
Holla hiii, holla duuuu ...

Eine Busfahrt, die ist lustig,
eine Busfahrt, die ist schön,
um das Turmhaus und den Karstadt
noch ein letztes Mal zu sehn.
Holla hiii, holla duuuu ...


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Ade, du mein Heimatbild ....

Schluchz, wein, heul, trööt, jammer ... das, was Solingen als Silhouette über Jahrzehnte geprägt hat, ist dem Tode, dem Niederriss, dem Totalverlust geweiht. Um die Stadt schöner zu machen, wird der markanteste Punkt entfernt. War er denn wirklich so hässlich geworden??? Schluchz, wein, heul, trööt, jammer ...

Der Herr (Baden) hat's gegeben,
der Herr (Haug) hat's genommen ...

Casa alta, requiem aeternam
O geliebtes Hochhaus, mögest Du in ewigem Frieden ruhen ...
denn in dieser Stadt hat keiner geruht, bis kein Frieden mehr war und die Aufregung auf ewig weiter geht ...

Aber vielleicht vollendet sich ja in Solingen auch nur die Hymne der Ex-DDR: "Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt ..." Wer weiß.


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Den Beschäftigten bei Karstadt wurde buchstäblich der Stuhl vor die Türe gestellt. Dieser Schnappschuss könnte fast schon ein Symbolbild sein, obwohl die Kundin hier ganz einfach nur von den allerletzten Schnäppchen Gebrauch macht, die kurz vor Toresschluss noch verramscht werden.

Übrigens: In der Solinger Presse und Politik ging Jammern und Wekhklagen umher, wie ungerecht-kapitalistisch Karstadt-Quelle sei, das Kaufhaus in Solingen zu schließen und damit Arbeitsplätze zu gefährden. Ja, das muss natürlich mal wieder an den dusselig-dösigen Solinger Kunden liegen. Denn klar, Karstadt hat alles richtig gemacht, das richtige Sortiment, lukrative Preise; das Personal war stets in der Lage, gute Kauflaune zu verbreiten. Alles haben Karstadt und das Personal richtig gemacht, nur die Kunden nicht. Oder könnte es nicht doch so sein, dass Karstadt zu einem Laden geworden war, wo Kaufen einfach keinen Spaß mehr machte und deshalb die Kunden ausblieben.... ???? Neeeiiiiinnnn, natürlich nicht !!!!

Ich persönlich habe seit weit über 10 Jahren versucht, irgendwie mal einen Kauflust-Hunderter bei Karstadt loszuwerden. Keine Chance! Entweder 08/15-Waren, die ich auch woanders (und dort oft billiger) bekommen könnte – warum bei Karstadt kaufen? Bei Kleidung in meiner Konfektionsgröße sowieso immer dieser Mitleids-Blick, als wenn man verkrüppelt wäre; "In ihrer Größe ..." – der Rest war unausgesprochen und ließ zwischen "würde ich mich erschießen" oder "gibt es ohnehin nirgendwo etwas" offen. Oder aber fast immer genervt-gestresstes, nicht selten deshalb abweisend wirkendes Verkaufspersonal (dafür mag es Gründe gegeben haben, das will ich akzeptieren), erlebtermaßen des öfteren auch scnell mal die Kunden maßregelnd, das mich fragen ließen: habe ich es nötig, so behandelt zu werden? Mit anderen Worten: Ich persönlich bin NICHT traurig, dass Karstadt aufhört. Ich empfand den Laden schon lange nicht mehr als ein Gewinn für diese Stadt. Und deshalb war wohl für Karstadt auch keiner mehr erzielbar – weil, vielleicht war ich ja wirklich nicht alleine mit meinem "Karstadt, ach wie belanglos"-Gefühl.
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So geht man auf die letzten Tage bei Karstadt mit den treuesten der "Mitarbeiter" um: sie werden verramscht, obwohl sie noch nie gemeckert und geklagt haben. Menschenhandel im großen Stil: gut, dass die nackten Damen und Herren kopflos sind und sich die Glieder verrenken lassen.


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Geschmack muss ja nicht unbedingt Sache eines Kaufhaus-Konzerns sein (sonst hätte man das Geschäft ja vielleicht auch gewinnbringend führen können), aber die allerletzten ausgedienten Laden-Dekorationen auch noch zu relativ hohen Ramschpreisen zu verhökern, das ist tiefste Schublade an Stil und Pietät. Und so ist sich Karstadt, das immer "was Feines" sein wollte, nicht zu schade, im Hochsommer schon mal an die schnäppchenjagende Solinger Kundeschaft zu denken und die Weihnachtsmänner tanzen zu lassen. Nun gut, Weihnachten kommt immer mal wieder auf uns zu. Aber irgendwie makaber ist die Szene schon. Und zwar arg.


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Erinnern Sie sich noch an Richard Kimble? Immer auf der Flucht ! Das dürfen Solinger Kraftdroschenkenlenker, also Taxifahrer wohl von sich behaupten, zu recht. Man schiebt sie schon seit Jahren immer mal wieder dahin, wo gerade ein Eckchen frei ist. Wenn jetzt das alte Hochhaus abgerissen wird, müssen sie garantiert weichen, damit ihnen nicht die Brocken aufs beigefarbene Dach knallen.

Übrigens, lassen Sie sich durch das Aufreihen nicht irritieren. Sie haben als Fahrgast das Recht der freien Taxiwahl. Nehmen Sie das bequemste! Oder das mit der nettestesten Fahrerin, dem sympathischen Fahrer. Oder das mit den wenigsten Beulen.


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Werfen wir also noch einmal einen allerletzten Blick auf das Ensemble, an das wir Solinger uns so sehr gewöhnt hatten. Wer will, kann noch mal zu Sonderangebotspreisen (nicht mehr als 50 Euro das DZ für Solinger) im Hotel mit dem einmaligen Blick schlafen – und dann ran an die Abrissbirne oder die Sprengladungen. Buff, und das wars. Man gönnt sich ja sonst nichts.

Vielleicht tritt dann auch wieder himmliche Gerechtigkeit ein. Wenn der Turm weg ist, wird entweder die Clemenskirche, im Hintergrund, oder der Turm der Stadtkirche der höchste Punkt der Solinger Innenstadt sein – bzw. der Schornstein der mitten in der Stadt gelegenen Müllverbrennungsanlage. Welch eine Symbolkraft !


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