Totterblotschen (26)

Solingens neuer Regierungspalast. Wie alle Kurfürsten, Könige, Kaiser oder neuerdings die Manager, sind die Regierenden der Meinung, sie hätten eine anständige Repräsentanz verdient. Was in den letzten Jahrzehnten meist mit "Glashaus" übersetzt wird. Wer das Geld hat, vor allem, die das Geld nicht haben, bauen sich ein Glashaus, oder lassen es sich bauen, damit die, die den Mut haben, den ersten Stein des Anstoßes werfen mögen. Gleichzeitig aber dunkeln sie das Glas ab, weil sie das Licht der Öffentlichkeit scheuen, diese aber fest im Blick haben möchten, mögen, müssen. Derzeit, Anfang 2008, steht der neue Palast von Kaiser Franz, genannt "us Haug", im Rohbau, was ihm vor allem bei Regen den Charme der Trostlosigkeit verleiht. Kerstin Ehmke-Putsch schlich um den Bauzaun und konnte wieder mal nicht die Finger vom Auslöser lassen.

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Schloss Franzensburg: das neue Ratloshaus

Das also wird das neue Heim der Solinger Beamten, ihr Stammhaus gewissermaßen, also zusammengefasst ihr Stammheim. Und dort wie hier wurden und werden ausbruchsichere Zellentrakte errichtet. In einer Bauweise, die schon bei der RAF für muntere Polit-Verdrossenheit geführt hat: Betonfertigteilbau, in der DDR auch Plattenbau genannt, lässt ungehinderte Klopfzeichen durch den gesamten Gebäudetrakt zu. Das erspart die komplette Telefonanlage. Ist zwar nicht abhörsicher, kann aber auch nicht verhindert werden. Hut ab, das ist wahre Intelligenz beim Steuergeldsparen. Gut gemacht, Franz.


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Auch werden die Beamten nicht kostenlos ihre Büros benutzen dürfen. Schon jetzt ist ein Parkscheinautomat angebracht. Logisch, was im ganzen Stadtgebiet gilt, gilt auch im Rathhaus: Wer nur rumsteht und nicht bewegt wird, muss Parkgebühr zahlen. Und da kein Beamter eigenem Bekunden nach ein bewegtes Leben hat, müssen sie halt jeden Morgen einen Parkschein lösen. Sonst drohen Knöllchen. Von der betriebseigenen Abteilung ruhender Verkehr. Ruhender Verkehr – im Rathaus – Moooomennnnt mal !!!!


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Eigentlich sollte der Neubau klammheimlich entstehen. Wegen der knappen Kassenlage (die Stadt hat gerade bei der Deutschen Bank mal einige Millionen verzocken lassen und klagt nun über sich, den Kapitalismus und die Bank an) gab Franz Haug die Parole aus: "Lautlos!". Prompt wurde der Befehl umgesetzt und rund um die Baustelle ist Lärmschutz befohlen. Dass ein Flaschen-Entsorgungs-Container dicht beim Rathaus steht, Leute, ist das nicht ein Planungsfehler? Ich meine, man könnte doch auf völlig falsche Gedanken kommen, oder?


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Jede Raubritterburg hatte ihre unteridischen Fluchtwege. Und da Beamte gewohnt sind, unter den Teppich zu kriechen (erstens, weil sich dort der Dienstweg befindet, zweitens aus hoheitlicher Höflichkeit und drittens, um dort manchmal etwas hin zu kehren), braucht man auch nur Fluchtwege für gebückte Stellungen. Weil so mancher Rohrkrepier in der Lokalpolitik nicht zu vermeiden ist, werden die dazu gedachten Rohre wenigstens feuerwehrrot eingefärbt, damit man – falls es mal Maulwürfe im Politgeschehen geben sollte – diese schneller wieder auffinden kann, – oder wenn wieder der eine oder andere den Kopf in den Sand steckt. Gerüchte besagen, es könnte sich auch um ein neuzeitliches Kommunikationssystem handeln, das Experten unter dem Namen "Rohrpost" zu kennen glauben. Oder sind es die Verbindungen zu den Stadtteilen, von denen wir ja offiziell 5 haben .... ??? Vielleicht so eine Art Buschtelefon, abhörsicher. Weil: es wäre die einfachste Art und Weise, im Rathaus in die Röhre zu gucken.


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Eingaben an die Stadt sind zwecklos, vor allem am, im, beim Neuen Rathaus. Man kann ja nie wissen, vielleicht kommt noch mal ein Kalter Krieg und mit ihm die Spione, und dann sind Tote Briefkästen etwas sehr nützliches. Im Rahmen der Neuen Sparsamkeit (merken Sie, alles Redewendungen, alles großgeschrieben, ha!) stellt die Post Ihren Service ja sowieso auf Level Zero. Will sagen: Wo kein Leerungsversprechen, da keine Zustellpflicht. Clever.


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Normalerweise wird bei einem Bau-Vor-Haben vor-gedacht. Dazu werden GRAUE ZELLEN benutzt. Dass diese dann aber auch wortwörtlich gebaut werden, dass ist selten. Oder ist es ein Gefängnis für Senioren, also für Graue Panther? Soll Trude hier für Unruh' sorgen? Ein Knast für die Vernunft? Ein Kerker der Phantasie? Ein Armenhaus der Stadt? Ach nein, halt ein neues Rathaus nur. Theoretisch. Aber die ist ja, wie man weiß, grau. Wie gräulich.


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Phantasie, Dein Name ist Behörde. Wer in solche Löcher gesteckt wird, ehrlich, der kann doch gar nicht anders, als einen Quadratschädel bekommen, wenn er mal einen Blick nach außen wagt. Und warum sind noch keine Fledermäuse in der Bauhöhle angesiedelt? Antwort ist einfach. Fledermäuse haben Geschmack. Die wollen Blut lecken. Aber das will die Verwaltung doch auch, sagen die Leute immer, äähhh ... odda ewwa nich ?


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"Haug, wir warnen Dich" haben die Bürger an die Haltestelle gekritzelt. Und da immer mehr Bürger Recht- und Schreibe- und Lese-Schwäche haben, wurde eben HUG WARN daraus.

Oder es ist eben doch englisch gemeint: Hug, die Umarnung, das Knuddeln. Knuddel-warnung oder Liebhab-Krieg – möglicherweise gibt es ja Leute, die die Leute im Rathaus zum Knutschen gern haben.

Na ja, einen Haufen Schutt sieht man immer und überall. Vor allem zwischen Rathaus und den wartenden Bürgern. Da werden ihnen dann die Steine in den Weg gelegt – oder selbiger damit gepflastert, damit es nämliche zum Stolpern gibt. Ja, das wenigstens ist sie, die Stadt: steinreich.


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Welch ein Symbolbild !
Man hänge die Arbeit, sagte immer meine Oma, so hoch, dass man nicht mehr dran kann. Ich wusste gar nicht, dass sich meine Oma in Verwaltungsdingen auskannte. Jedenfalls haben wir Bürger eins nicht mehr zu befürchten: dieses Ding mischt so schnell keinen mehr auf.

Also, Stadtverwaltung, dann macht es mal schön fertig, Euer Schloss Franzensburg. Damit es demnächst wieder von Wahlkampf-Plakaten heißt:
"Im Neuen Rathaus, in der Mitte,
hat Kaiser Franz nur eine Bitte:
dass ihr, bevor Ihr Euch so quält,
den guten Man noch einmal wählt."

Tun wir, keine Sorge. Wer Beton sät, wird Bürger ernten.

EILMELDUNG: Soeben erreicht mich durch einen Jecken der Hinweis, bei diesen Gerät handelt es sich um einen sogenannten BEA, Beamten-Erzeuger-Automat. Sie fragen sich nun "ja, wie das?". Ganz einfach: diese Maschine gießt – Betonköpfe ! Helau, Alaaaf, Solig lot jonn – jenießt die kurze Saison 08, loffer us freue, hatt Spass, magkt jet drut, blïewt schmeereg beneïn !!! Prost Neujahr, Prost Neubau.
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Übrigens: wer jetzt auf den Gedanken kommt, dieser Solinger Bau sei doch seelenlos-unschön, viel zu banal und unehrwürdig, dem sei in Erinnerung gerufen, dass zwar die DDR die BRD gekapert hat (weil: inzwischen wird hier gehandelt wie einst in der DDR: jeder weiß, dass das, was er verspricht, nicht in Erfüllung gehen kann, aber die anderen klatschen vor Begeisterung, dass etwas versprochen wurde, was sie selbst nicht halten müssen – kapiert?), aber gebaut wird noch nicht (ganz) so. Der Palast der Republik, also Erichs Lampenladen, sieht noch schlimmer aus, das offenbart der Abriss. Obwohl – warum hat die Stadt diesen Ballast der Republik nicht gebraucht gekauft? Die Chinesen kaufen doch auch alte deutsche Stahlhütten, zerlegen sie und errichten sie in China wieder neu. Wir hier in Solingen mit Franz' Lampenladen, – das hätte doch was! Frei nach dem Motto:
Wer den Asbest nicht scheut,
der hat seine Freud.
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Nachtrag: Es begab sich aber zu der Zeit, dass die Stadt Solingen via Deutsche Bank einige Millionen Euro in windigen Fonds verzocken ließ und gleichzeitig beschloss, so um die 12 Euro Miete je Monat je Quadratmeter seien nun wirklich nicht zu viel für ein Rathausneubauzimmer, zumal, wie der Investor argumentiert, hört, hört, in der Tat die Räume sogar funktionsfähig sein sollen (so ließ er im Tageblatt verlauten), o nein, wie toll, es begab sich aber zu der Zeit, da Kerstin Putsch wieder einmal am Rathausneubau vorbeischaute und der Mond durchs Gerippe lugte, worauf sie verdutzt fragte – und ich ihr keine Antwort geben konnte –: "Du, sag mal, wie denn nun, lebt man im neuen Rathaus vor oder hinter dem Mond?" Ich will ja nicht unhöflich sein, aber ich glaube, der Mann im Mond steht voll hinter dem Rathaus. Wenn das mal kein Omen ist. Amen.

Foto: KEP
Bildbearbeitung: HGW

Schöne, heile helle Welt: Das Rathausneubaugerippe im Tagesanbruchmondschein
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