Totterblotschen (13)

HURRAH Deutschland. Schon die Frage, ob man stolz sei, ein Deutscher zu sein, ruft in unseren Tagen Stress hervor: was ist deutsch und was ist Stolz, und darf man überhaupt Stolz haben und erst recht, darf man deutsch sein? So verkrampft wir mit dem Umgehen, was andere als das Natürlichste der Welt ansehen (kennen Sie einen Engländer, der sich nicht dazu bekennt, englisch zu sein?), so bizarr war und ist zuweilen der Umgang mit dem Deutschtum. Früher wie heute. Gut, dass es in Solingen da eine Stelle gibt (siehe Ende der Seite), die völlig locker dieses Thema aufgreift und fröhlich singend von Solingen aus Deutschland in der Welt vertritt.

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Du bist Deutschland, Deutschland ist Breitschliff – 
oder: Menstruieren für den Sieg

Sie erinnern sich sicher, so denn in Deutschland wohnend, der Ende 2006 gelaufenen Werbe- und Motivations-Kampagne "Du bist Deutschland". Ein Volk sollte von seiner Jämmerlichkeit befreit, aus der vermeintlich gefühleten Lethargie geweckt werden, "Kopf hoch" oder "Reiss Dich am Riemen", wie man volkstümlich sagt, auf gut Solingerisch: Kneif den Arsch zusammen und tu was. Eine Kampagne, die neu schien. Die aber, wenn man genau hinschaut, es schon einmal gegeben hat. In einer Zeit, an die am liebsten niemand erinnert wird und von der Firmen heute gerne sagen, sie hätten mit der Politik damals überhaupt nichts am Hut gehabt. Hatten sie aber. Genau so begeisternd-motivierend, wie jetzt in der (bislang einmaligen) "Du bist Deutschland"-Kampagne.

Screenshot der noch existierenden Homepage der Kampagne, Ende Juni 2007


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Die Website der Du bist Deutschland-Kampagne listet in einem bunten Kaleidoskop Meinungen und Forderungen von Menschen auf, Deutschland in Schwung zu bekommen. Dabei könnte ich persönlich nicht gerade spontan zustimmen, dass dies mein eigenes Bild von Deutschland und auch von kollektiver Intelligenz ist, das sich da offenbart. Eher drängt sich mir auf, dass sich aus den Texten eine gewisse Debilität ergibt, die erklärt, warum dieses Land möglicherweise in eine kollektive Demenz gefallen ist ... Denn die Screenshots sind echt und das (mein) Entsetzen darüber auch.

Wer mehr Meinungsvielfalt fordert, könnte mit gleicher Logik und Sprachgefühl auch mehr Haare fordern. Und mit einem Schnapsglas in der Hand, Bierpulle daneben, sich über Nächstenliebe auszulassen – nun ja, Moralisten brauchen wohl neuerdings Mut, um sich zu outen.

Wenn wir denn in diesem Lande noch deutsch sprechen, wäre "Ich fordere mehr Gemeinschaft" wohl ein schöner Satz, denn wo sonst sollte Gemeinschaft sein, wenn nicht untereinander?
Etwa übereinander?
Oder nebeneinander?
Vielleicht durcheinander!

Bei solchen Statements fällt es zumindest mir schwer zu unterscheiden, wollen die sich selbst auf den Arm nehmen oder uns?

Vielleicht meint der Surfer ja auch eigentlich, er wolle Deutschland nicht aus der Krise, sondern in der Brise helfen. Und mit einem kaputten Auto mehr Arbeitsplätze zu schaffen, nun, das ist keine Kunst ... Er hier ist nun so recht mein Freund. Macht Deutschland fit. Aber bitte, die anderen 82 Millionen haben gefälligst mit anzupacken. Alle 82 Mio, also Babies, Greise, Kranke ... und Arbeitende.Jou, genau so wird es funktionieren!

Natürlich, man könnte dies alles für einen bösen Ausrutscher und Symptom der Jetztzeit halten. So ist es eben, das Medienzeitalter, könnte man alles lakonisch abtun. Wenn da nicht das Kaiser- und das Dritte Reich gewesen wäre. In denen exakt so ein Blödsinn, Schwachsinn, so eine Volksverdummung, solch eine an vordergründiger Wir-Deutschen-schaffen-es-schon-Sentimentalität Teil der auch mentalen Diktatur gewesen wäre. In die sich unter anderem auch Solinger Firmen einspannen ließen. Mit einer Peinlichkeit, die sprachlos macht.
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1944 (Im gleichen Jahr am 20. Juni ein verzweifeltes, fehlgeschlagenes Attentat auf Hitler) hat der Zweite Weltkrieg längst die entscheidende Wende genommen. Der Krieg geht in seiner Entwicklung nicht mehr von Deutschland aus, sondern zwingt das Land nunmehr in die Knie. Im Osten wie im Westen verliert die Wehrmacht jeglichen Handlungsspielraum. Gegen den auch inneren, moralisch-seelischen Zusammenbruch des Volkes läuft seitens der braunen Parteidiktatur eine bis dato nicht gekannte Durchhalte-Parolen-Propaganda an: Mit Liedern wie "Davon geht die Welt nicht unter" (Zarah Leander) bis zu Filmen wie "Das Leben geht weiter" von Wolfgang Liebeneiner mit Heinrich George, Gustav Knuth, Hilde Krahl, Marianne Hoppe, Will Dohm, Paul Henckels, Viktor de Kowa wird "wir schaffen das schon" befohlen. Und an der damals so genannten "Heimatfront" spendierten die Firmen auf Druck oder freiwillig, wer will es heute noch herausfinden, ebenfalls Hoffnung – alles wird gut! Perfide, verlogen, abgebrüht suggestiv war das alles. Und wer weiss, hätte es nicht auch schon in diesem Horror-Szenarium, längst waren Millionen Menschen ermordert, getötet, heißen können: Du oder Wir sind Deutschland? Die Texte der Anzeigen jedenfalls spiegeln exakt jenes vor. Ein Selbstbild deutscher Großmacht und Überlegenheits-Wahn, vor dem viele Menschen in der Welt, andere Völker ganz zu recht Angst haben mussten und objektiv gesehen immer noch haben.

Diese Annonce erschien 1944 in einer nicht mehr zu identifizierenden Zeitschrift (die einzelne, erhaltene Druckseite gibt keinen Rückschluss).

Edmund Bergfeld & Sohn, Ohligs, stellte Rasiermesser her, von der Sammler noch heute in aller Welt schwärmen.

Es ist geradezu erschreckend, wie sehr dieser Text mit den Parolen der "Du bist Deutschland"-Kampagne sinngleich ist. Ist es Selbstbewusstsein oder Größenwahn? Geht es um Allmachtsphantasien oder zieht man sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf?


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Aber nicht nur mutige Männer (damals waren Unternehmerinnen noch mehr Mangelware als manch anderes im Kriege) konnten für Deutschland blutig Zeugnis ablegen. Auch den Damen war Qualitäts-Menstruieren empfohlen. So bekommt die Welt gerne ihre Tage, weil Camelia macht daraus ja fast schon eine Wonne, eine deutsche jedenfalls. Man muss den Text genau lesen, um sprachlos zu staunen.

(Kann mir – vlelleicht eine Frau – mal erklären, was eine rote Perlenkette, staunend betrachtet, mit dem sicherlich objektiven Fortschritt zu tun hat, sich statt irgendwelcher "Klüngel", Lappen zwischen die Beine zu knüllen, nun eine wohlgeformte Vlies-Watte-Matte hygienisch-nützliche Dienste übernimmt. Treffen die sich zum Menstruations-Zirkel?)

(Geradezu prophetisch auch die Vision eines im Warenverkehr freien Europas. Nur, dass es – allen Mächten sei Dank – nicht unter deutschem Primat, sondern in einem wenn auch leidensvoll-mühevollen Einigungsprozess der gesamten europäischen Völker entstand.)

(Ein Treppenwitz der Weltgeschichte ist übrigens auch, dass am Ende des Textes den Feindinnen ausdrücklich Camelia vorenthalten wird. Nur wird heute Camelia von der so gar nicht urdeutsch klingenden Firma Harkley-Kimberly hergestellt und vertrieben. Aber das immerhin noch von Mainz, der Rheinstraße aus. Und wenn heute in Internet-Foren Frauen von ihrer ihnen lästigen Regel als "Roter Flut" reden, dann müssen sie glücklicherweise das aber nicht mehr der "Braunen Flut", die damals Deutschland mental ertränkte, berichten – und die politisch damals so genannte Rote Flut, die Kommunisten, scheinen ja wohl nun auch in der Minderheit ...)


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Es waren nicht, wie oft kolportiert, "die Nazis", die das Deutschtum erfunden haben. Sie setzten auf eine tief gegründete, als selbstverständlich empfundene "Vaterlandsliebe" auf, die heue kaum oder gar nicht mehr emotional nachvollziehbar ist. Für die 1925 erscheinende Monatszeitschrift "Lied und Heimat", Ortsgruppe Solingen im Unterbund Bergisches Land des Rheinischen und Deutschen Sängerbundes war es selbstverständlich, "deutsch bis auf die Knochen" zu sein. Ohne dass sich jemand dabei ideologisch vereinnahmt vorgekommen wäre – ganz im Gegenteil.

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Am allerwenigsten darf man unterstellen, eine "Du bist Deutschland"-Kampagne wäre idelogisch dort verwurzelt, was man gemeinhin pauschal "das Gestern" nennt. Und dennoch bleibt als Erkenntnis und Schluss: Wann immer Appelle an den einzelnen erfolgen, sich zur nationalen Identität zu bekennen, nimmt dies oft und schnell Züge an, die sowohl ins Fanatische abgleiten, aber genau so auch ins Verbohrt-ideologische und nicht zuletzt ins scheuslich Absurde oder gar Lächerlich-Groteske. "Stolz" auf das Volk und (auch wenn es ein alter Begriff ist) "Vaterland", damit zufrieden zu sein, sich dazu zu bekennen, ist das eine. Es als Pathos mit geradezu religiösen Zügen zu vergöttern, ist eben das andere. Die Balance ist das Schwierige. Besser gesagt: das positive tun und gleichzeitig das negative vermeiden. Es gelingt selten. Gelang es schon einmal gut?

Ich persönlich finde es da um Dimensionen sympathischer, wenn heute in Solingen die "Zentralstelle für den deutschsprachigen Chorgesang in der Welt" existiert und erfolgreich wirkt. In diesem Sinne, als Beitrag zur Weltkultur, ist das Bekenntnis zu Deutschland das Normalste, was es gibt. "Na also, es geht doch !" – und das ist keineswegs ironisch gemeint. Sondern voller Achtung.

1925, die Deutschen hatten gerade einen selbst angezettelten, im bis dahin nicht gekannten Maße tod- und leidbringenden Krieg hinter sich, kamen aus einer vernichtenden Inflation, waren (zu guter Völkerrecht) durch Regressforderungen wirtschaftlich geknebelt, Arbeitslosigkeit und damit verbundene Armut war Alltag – und da ziehen Solinger Sänger ins heilige Köln. Um nicht erhabener Eindrücke betrogen zu werden. Das Fest als Höhepunkt des Lebens. Es galt, Treueschwüre zu leisten. Man schmachtet nach Größe und Bedeutung.


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– Irrsinn? Verblendung? – Alles nur "damals"? Mag sein, aber die Szenen der Euphorie, die sich 2006 – kurz vor der Kampagne "Du bist Deutschland" (oder folgte diese folge-richtig der WM?) werden auch in Solingen wieder deutsch-bekennend wieder die Straßen geschmückt. Seit vielen Jahrzehnten traute sich Deutschland wieder, sich zu seinen Symbolen zu bekennen. Und keiner denkt sich was schlimmes dabei (was rechtens ist) und es ist ideologiefrei. Es ist der pure Spaß an der Freude. Haben wir das Recht, etwas anderes anzunehmen über die Texte von damals, die uns heute so "komisch" und so arg verklärt anmuten?

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Heute schwenken wir Fahren – früher die Schwerter:

Nationale Begeistung – das ist Solinger Sache. Als Bismarck, der Eiserne Kanzler, 80 wurde, wollten ihm die Solinger Bürger partout einen Ehrensäbel, die Pallasch hießen, überreichen. Man übertrug die ehrenvolle Aufgabe der Herstellung auf die Firma Weyersberg-Kirschbaum & Cie. Der Kölner Bildhauer Wilhelm Albermann lieferte den Entwurf. Im Mai 1895 war das gute Stück fertig, man fuhr mit einer Delegation von 25 Personen (!!!) nach Hamburg, übernachtete im Hotel St. Petersburg für 4,50 Mark pro Nase und Nacht und hielt eine glühende Rede auf Bismarcks Verdienste, Ruhm und Ehre. Dieser fand dies wohl extrem gut, denn er soll für seine Verhältnisse sich mit Begeisterung am Geschenk gefreut haben, wie die Chronisten berichten. Er hätte sich nicht satt daran sehen können, berichtete die Delegation. Er, Bismarck, hätte einmal eine Araberklinge geschenkt bekommen mit der Inschrift, "diese Klinge ist so schön und gut, dass es eine Lust sei, von ihr erschlagen zu werden". Und, so befand Bismarck, genau das gleiche hätte auch auf der Solinger Klinge stehen können.
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Klaus Tettinger fand diese Unterlagen und Zitate im Stadtarchiv Solingen und entzifferte die handschriftlichen Eintragungen

"Seiner Durchlaucht dem Fürsten Bismarck ihrem großen Ehrenbürger, der deutschen Einheit mächtiger Waffenschmiede, zum 80ten Geburtstage – Die dankbare Waffenstadt Solingen." gravierte man auf das Prunkstück und setze diesen Sinnspruch hinzu:

Wir recken das Eisen zu mannhafter Wehr,
Wir geben die Waffen dem riesigen Heer,
In der Esse Gluten, in Feuers Strahl,
Formt Meisterhand schneidig den klingenden Stahl.

Du schwenktest in Wettern Germanias Schwert
Du schufest das Reich uns im Weltall geehrt
Du schlangst um Alldeutschland ein ehernes Band
Willkommen, du Reichsschmied im Bergischen Land.

Na, noch schöner kann man doch nicht ausdrücken:
Solingen, das ist Deutschland.

So, und jetzt mal wieder aufgewacht und zurück in die Realität der 2000er Jahre. Willkommen in Europa.

Zweimal Bismarck:

Links: Das Original
in Form des pickelhäubigen Feldherrn

Rechts: Fälschung
in Form eines schmack-, nahr- und salzhaltigen Bismarck-Herings.

Macht aber nichts. Wäre nämlich Otto Graf Bismarck in Form eines Herings zur Welt gekommen, hätten die Solinger ihm eben ein Fischmesser als Ehrengaben überreicht. Wir haben nämlich von allem ... !