Totterblotschen (21)

Tristesse. Husum hat's gut. Darüber hat Theodor Storm wenigstens literarisch geschrieben und sie "die graue Stadt am Meer" genannt. Aber Solingen? Hat je ein Dichter, außer denen, die sich mehr oder weniger in Solijer Platt ausließen, darüber literarisch hochklassig geschrieben? Nicht, dass es mir bekannt geworden wäre. Dabei böte diese Stadt Stoff ohne Ende. Vor allem für traurige Geschichten. Scheinbar. Denn den Bewohnern gelingt regelmäßig ein Kunststück, für das sie viel zu wenig gelobt werden. Obwohl die Landschaft oft regengrau verhangen, das breiige Einerlei der Bauten, gefördert durch eine an Mutlosigkeit und Durchschnittlichkeit unübertreffbare Bauplanung, unterstützt durch den permanenten Mangel an Ideen, Geld und guter öffentlicher Laune, eher zu Grübeln Anlass zu geben scheint, sehen die Bewohner diese Stadt durch die rosarote Brille purerer Lebensfreude. Diese Art der positiven Lebensgestaltung ist, wahrlich, echt bergisch. Und ansonsten: siehe Schluss dieser Seite.

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Frank Püttbach schaut auf Solingen:

Dank seines Teleobjektivs und fotografisch trainierten Blicks macht Frank Püttbach immer wieder Bilder dieser Stadt, denen ein Kunststück der Ambivalenz gelingt, wie es eingangs für die Allgemein-Mentalität beschrieben wurde: aus dem Moment des Banalen wird ein erhabener, zeitloser Blick auf das Wesentliche. In der Undramatik mancher seiner Szenen vereint sich das Spannende und zugleich Distanziert-dokumentarische seiner Licht-Bilder.

Die obige Skyline mit dem deutlich fehlenden Kreuz auf der Kugel der evangelischen Stadtkirche regt mich keineswegs auf, aber an, doch mal vorzuschlagen, dass es sich wie in früheren Zeiten der Klerus nicht bieten lassen kann, an Höhe durch schnöde weltliche Bauwerke übertroffen zu werden. Und da, ganz christlich, Weihnachten vor der Tür steht, ergibt sich die Lösung "wer hat den Höchsten?" doch wie von selbst. Man muss eben nur die Phantasie haben, sich alles schön zu denken.


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Auch hier wohnen Menschen und, so ist anzunehmen, fühlen sich wohl. Natürlich ist dieses Bild "gelogen", weil es konsequent das Grün wegschneidet, das dieses Ensemble umgibt. Und eben: zugleich ist es wahrer als wäre das Grün wohlwohlend als Garnitur zu sehen, kaschierend, ablenkend. So aber wird das Eigentliche, der Kern der Tristesse mit Augen greifbar.


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Was aber nicht ausschließt, dass es dem (Solinger Lebens- und Überlebens-) Künstler gestattet sein muss, sich seine eigene Welt visuell-träumerisch romantischer zu gestalten. Wer oder was hindert einen daran, eben die rosa Brille der puren Lebenslust aufzusetzen und sich das Grauen der Häuserfassade in den buntesten Farben vorzustellen? Niemand, außer, man hätte nicht den Mut dazu.


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Forscher wollen herausgefunden haben, dass Tiere die Welt sowieso ganz anders sehen. Mehr schemenhaft und vor allem gegenüber unserem visuellen Sinneseindruck farbverfremdet. Vielleicht sieht ein munteres Bienchen, sirrend-summend seiner Bahnen ziehend, die Szenerie ja so. O honigsüßer Nektar losgelöster Phantasie ...


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Aber was muss man Biene sein, wenn in der Volkshochschule doch schon für ein paar Euro Kurse angeboten werden, in denen man sein künstlerisches Talent entdecken und schulen kann und dann vielleicht mit solch einer duftig-leichten, anmutigen Aquarellzeichnung einer an und für sich eher düsteren Szene bei der Bergischen Kunstausstellung vertreten ist.


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Ja, was denn nun. Da wird einerseits die Hasseldelle als Klein-Manhattan verspottet und die an Häßlichkeit nicht mehr zu überbietene Schmuddeligkeit, mit der die Verwaltungsgesellschaft Gagfah den baulichen Kern der Siedlung dem Zerfall überlässt, als sozial stigmatisierend bezeichnet, und Frank Püttbach malt nun mit Hilfe der frühen Abendsonne ein Landschaftsgemälde nicht nur auf den Grenzlinien der hügeligen Wupperberge, sondern auch auf eben jener zuvor beschriebenen zwischen Realität und Interpretation. Es müsste doch schön sein, hier zu wohnen. Ist es auch, wenn der Blick aus der Nähe nicht im Kontrast zu jenem aus der Ferne stünde. Aber eben: wer sein Inneres Auge schult, dem gelingt stets mühelos der Wechsel von der vermeintlich echten in die Welt der freien Vision.
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Den Blick auf das gleiche, aber doch damals ganz andere Solingen fand Andre Frings beim Wühlen in den Schuhkartons mit den Familienfotos.

Es zeigt den Blick aus Meigen, vorne wohl die alte Hacketäuerstraße quer über die Felder samt Degenstraße auf die City. Die ev. Stadtkirche (links Mitte am Bildrand) war soeben gebaut (1955) wie auch die Türme der kath. St. Clemens Kirche aufgesetzt. Das Foto könnte also im Winter 1955/56 entstanden sein, denn Dominikus Böhm errichtete in seinem Architekturstil ("Pionier des katholischen Kirchenbaus der Moderne") die Turmspitzen 1955 – in seinem Todesjahr.

Eine wunderbare Dokumentation über Solinger Kirchen und ihre Kirchtürme findet sich hier:




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Juchuuuu, jucheeeh, heia-hoppsasa

Man schreibt das Jahr 1928, die Weltwirtschaftskrise ist gerade mal so eben vorbei, in Deutschland herrscht eher Armut und Not, und was hat diese Jugend im Sinn? Nichts anderes als Feiern, Tanzen, Abhängen ! (Wie gesagt, 1928, nicht 2008!). Als wäre die Welt in allerbester Ordnung, trifft man sich in Glüder an der alten Brücke und trampelt das frisch gemähte Wiesengras nieder, als wäre die Wupper kein damals stinkender, dreckiger Industriefluss, sondern ein liebliches Idyll des Paradieses. Wie gesagt: der Bergische an sich, Weiblein wie Männlein, weiß sich aus dem Alltag in die Welt des Frohsinns zu beamen, ohne dass es mehr als seines fröhlichen Gemütes dafür bedürfte.

Gerd Brenger stellte dieses optische Schmankerl zur Verfügung.


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Take a closer look ...


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Erklärung. Entschuldigung. Begründung. Diagnose ...

Es gibt ja Leute, die fragen sich und mich immer, warum ich denn so sarkastisch über Solingen schreibe. Selbst ein hochrangiger Politiker (zumindest glaubt er, es zu sein) meinte neulich, ich solle doch nicht immer alles so negativ sehen. Tue ich doch gar nicht. Wäre dies so, gäbe es doch nicht von mir an die 10.000 Bilder über Solingen und fast an die 2.000 HTML-Seiten, oder? Aber ehrlich gesagt, dieses Wetter, dieses Solinger, kann doch gar nichts anderes bewirken, als dass sich Nebel übers Gemüt legt. Denn !!!!!! : Zur gleichen Zeit, da gerade diese Seite hier entsteht, bietet die Webcam auf dem Klinikum diesen strahlend-schönen Blick über Solingen. Also, Freund, gute Nacht, es ist zwar jetzt Samstag 10.30 Uhr, aber ich gehe jetzt wieder ins Bett und kuschle mich in meinen Traum von einem Solingen der hellen-milden Wärme. Dann schreibe ich gaaaaaanz viele fröhliche Dinge .... Wie dieses Gedicht hier..
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In Solingen die Sonne schien,
und alle Leute lachten,
da sah man Wolken westwärts zieh'n,
und alle Leute dachten,
die werden ganz schnell vor uns flieh'n
bis die Gewitter krachten,
man stand im Wasser bis zu'n Knien,
aus Straßen wurden Grachten.
Und die Moral aus der Geschicht:
Es kümmert mich kein Wetter nicht.
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Bei diesem Solinger Wetter, siehe oben, ist es kein Wunder, wenn man hierzulande mehrheitlich an Hexen, Elfen, Trolle, Zwerge und Geister glaubt. Frank Püttbach ist es gelungen, ein solches Wesen in flagranti zu ertappen. Es ist typisch für Waldschrate, dass sie sich in der Nähe uralter Kirchen aufhalten und die vorbeikommenden Büßer verschrecken .... sehen Sie ihn, den Miesegrimm ?

(Wenn sie ihn nicht sehen, sind Sie vom Teufel besessen. Da hilft nur eins: bei Vollmond um Mitternacht nackt in der Wupper baden!!!!)