Totterblotschen (24)

Von wegen "falsche Fuffziger". In den Fünfzigern (des vorigen Jahrhunderts) war diese Stadt noch eine Mischung aus Übriggebliebenem (was die Bombardierung und auch ansonsten die Zeiten überlebt hatte) und Neuem – damals gerne auch "Moderne" genannt. Auch wenn es belanglos war, Hauptsache, es war modern. Und für viele, die sich diese Seiten anschauen, ist es ein Blick zurück in die eigene Jugend. Bei der man in aller Regel ans und ins Schwärmen kommen kann. Bei dieser Gelegenheit herzliche Grüße an die Solinger in aller Welt; nach wie vor erreichen mich Emails von gebürtigen Solingern, die jetzt beispielsweise in Düsseldorf wohnen und Heimweh haben. Wie muss sich das dann erst in Chile, Alaska, der Mongolei oder Südafrika anfühlen?

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Joden Rötsch ... ! – Bliëff em Vazunn

 

Michael Lohe kramte dieses Bild seines Großvaters Max Lohe (5. v. l. obere Reihe) aus. Es entstand 1924 in der Rahmenfeilerei des WKC (WKC fertigte u. a. Fahrräder, aber auch Blankwaffen, in seinen verbliebenen Gemäuern ist heute das alte Rathaus untergebracht, das neue wird unmittelbar daneben gebaut – ein "Jahrhundertprojekt").
Ja, das sind sie, die strammen Kerls, auf die Solingen so stolz war und ist und die den legendären Ruf von Solingen als Stadt der (Stahlwaren-)Qualität gründeten. Ihr Motto: pflichtbewusste Treue; zu ihrer Arbeitsqualität, zum Arbeitsplatz, zur Stadt und zur Idee der sozialen Gemeinschaft (an der es heut so spürbar elend mangelt). Max Lohe war – wie fast alle seiner Kollegen – "strammer Gewerkschafter". Die Urkunde für 70 Jahre IGM (und Vorläufer-Gewerkschaften) nahm er 1977 entgegen.
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So sah übrigens in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts, nach dem 2. Weltkrieg, das Solinger Streckennetz aus. Ein Original-Fahrschein lässt ahnen, wie wichtig der Schaffner war: Er musste für jeden Fahrgast mit der Lochzange die Zahlgrenzen markieren bzw. die Strecke, die der Fahrgast mitfahren wollte. Links die Tafel der Uhrzeiten, damit man auch nicht fuschen konnte.

Der Tarif war engmaschiger als heute, alle paar Haltestellen war Zahlgrenze.


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Vor 1960 sah es am Mühlenplätzchen noch so aus: Baracken – aber genau das, was auch heute da ist: ein Shopping-Center, eine Mall – eben nur im Stil der damals noch bescheidenen, armen Zeit (wie schon oft erwähnt: die ahnungslosen Heutigen mögen nicht immer die großen Worte von der Modernisierung in den Mund nehmen, vieles in Solingen, was als neu gepriesen wird, ist lediglich eine Wiederherstellung oder Fortschreibung des Bisherigen oder Gewesenen – gell, Herr Oberbürgermeister). Oben am Bildrand ist die Hasselstraße zu sehen, noch ohne die verschiedenen Siedlungen der 70er Jahre. Darunter die Kleingartenanlage Klauberg – gewissermaßen auf freiem Feld. Bildmittig über den Zuckerhut-Betontümen von St. Clemens die Margaretenstraße und die SBV-Siedlung um die Schiller-/Vereinsstraße, auch die Klauberger Straße ist gut zu sehen. Wo heute die Goerdeler Straße auf die damalige obere Haupt-, heutige Konrad-Adenauer-Straße trifft sind noch die Reste alter Gastronomie-Bebauung zu sehen; hier war einst der legendäre Bayrische Hof, Haupt-Versammlungsort politischer Aktivitäten. Und am spitzen Dreieck vor der Deutschen Bank stand das legendäre Kriegerdenkmal von 1870/71. Unterhalb der St.-Cl.-Kirche die alte Volksbank, in deren Räumen auf der oberen Etage die Schule von Mally Jansen war, in der tausende Solinger Steno und Scheibmaschine schreiben gelernt haben. Unten im Bild ist schon das neue Tageblatt-Gebäude zu sehen und etliche der Gebäude, wie sie bis heute in der Mummstraße erhalten geblieben sind. Der Straßenschlenker rechts unten im Bild existiert heute so nicht mehr, geblieben ist eine schmale Fußgängerzone zwischen Clemens-Gallerie und dem P&C-/Kaufhof-/Saturn-Gebäude. Der (dunkel erscheinende) "Park" in der Bildmitte ist der ev. Teil des Friedhofs Casinostraße.
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Kurios: diese Luftbildkarte ist gemäß damaligen Bestimmungen von einen Ministerium freigegeben; aber nicht dem zuständigen nordrhein-westfälischen, sondern dem Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr. Wahrscheinlich wegen des Rests vom Bayerischen Hof ... :-)

Eine Stadt im Umbruch

Eine Postkarte aus dem Jahr 1956 zeigt Merkwürdiges: Motive noch von "vor dem Krieg" und vom Straßenbild in den 50ern - bunt gemischt.

Cramers Kunstanstalt, Dortmund

Das typische Bild vor dem Krieg. Man bestaune die wirklich flotten Autos.

Aus Richtung Meigen / vom Feld aus gesehen – vor dem WW2. Noch ist die Stadt wirklich eine Stadt mit viel Umland.

Eine trutzig-feste Burg, das Zwillingswerk; ihm gegenüber Fr. Herder Abr. Sohn.

Der Name "Dreiecksplatz", der auf der Karte vermerkt ist, ist auch eine nette Variante. Übrigens: haben Sie noch den Geschmack von Hillers Pfefferminz im Mund?

Das stolze neue Gebäude der Industrie- und Handelskammer. Das Tollste daran aber ist – der Parkplatz direkt vor dem Hause.

Auch heute darf dieses Gebäude an "Ein' feste Burg ist unser Gott" erinnern, denn es ist derweil eine christliche Begegnungsstätte.

Bestes Wasser der Welt – aus der Sengbachtalsperre.