Totterblotschen (28)

Et bliiëfft, wie et es. Zugegeben, der Kölner formuliert das anders: Et kütt, wie et kütt. Ewwer in Solig et allet all't su, wie et sinn moutt. Do bruggt sech nix to ängern. Mit dieser Lebensweisheit lebt man gut in dieser Stadt, weshalb so viele Solinger zwei Herzen in ihrer Brust haben. Das eine, das heilfroh ist, dass die Dinge immer schon so waren, wie sie sind (oder doch eher umgekehrt?) und das andere, das laut pocht und fordert: alles muss anders werden. Diese beiden Herzen schlagen selten synchron, aber beide wild. Was dazu führt, dass es viel Herzschmerz gibt, wenn sich doch mal wieder etwas ändert, weil sich dann beide Herzen einig sind: Ja, su nu ouch wiër nitt!

.

Aus diesen Steinen können Sie trinken

Wenn Frank Püttbach spazieren geht, ist das nicht nur für ihn gesund, es kommt auch für den Rest der Menschheit etwas Ansehnliches dabei heraus. Wie hier zum Beispiel.

Wenn man sie fragt, was das ist, werden Sie wohl kaum eine schlüssige Antwort geben. Weder die Steine, auf denen man in Wüstenrot bauen kann, noch die Berliner Mauer, – ist es das Gemäuer von Schloss Burg oder sind es die dicken Brocken, die noch aus dem Weg geräumt werden müssen, die Mauer gar, durch die der Kopf will ...

Nein, es sind die Steine, die dafür sorgen, dass Solinger genug vom kühl-köstlichen Sengbacher Nass haben. Die über 100jährige Mauer der Sengbachtalsperre hielt Frank Püttbach in einem beeindruckenden Panorama-Foto fest:
.


.

.
Unter dem Bürgermeister Dicke wurde dieses epochale Bauwerk errichtet. Michael Tettinger hat den dazu passenden Zeitungsartikel parat:



Die Sengbachtalsperre fasst max. 3 Mio cbm Wasser. Je Einwohner werden im Schnitt jährlich etwa 50 cbm verbraucht, statistisch. Heisst, man muss die gesamte Talsperre etwa alle 4 Monate einmal neu füllen (will sagen: so viel MUSS ES REGNEN), damit wir zu trinken haben. Aber keine Sorge, ein wenig Unterstützung haben wir; Solinger bekommen auch Wasser aus der Dhünntalsperre (weiter ins Bergische hinein gelegen) und vom Rhein, als so genanntes Uferfiltrat. Bei aller modernen Filtertechnik, man schmeckts. Es geht nicht, aber auch gar nicht, über Sengbach-Wasser. Da lassen Sie jede überteuerte Flasche Wasser im Geschäft für stehen, wetten dass?!
.

Aus der Vogelperspektive kann man die Szenerie bei Google Map betrachten:

.

Licht und Schatten, Sicht und Platten

Man darf sie wirklich nicht an die Auslöser lassen, die Solinger Fotografen. Kaumt hat der eine sein Mauer-Erlebnis, will die andere auch Mauern einrennen – oder mit dem Kopf gegen selbige. Wer weiß. Ein paar Schritte genügen Kerstin Ehmke-Putsch wieder einmal, um alles Elend dieser Stadt auf ihren Pixelchip zu bannen. Dabei wollte sie doch nichts anderes, als mal eben vom Shopping in der City nach Franz' neuer Mietwohnung am Schlagbaum schauen und sie schlenderte an der belebt-beliebten Einkaufsmeile vorbei, die sich dadurch auszeichnet, dass täglich zehntausende Autos durchbrausen. Und sich im übrigen die Lokalpolitiker, die summarisch gesehen dies planerisch veranlasst haben oder nicht ändern, darüber mokieren, dass die Bevölkerung daran keinen Gefallen findet und die Rennstrecke allmählich ein Migrationsghetto wird. Die Vielzahl der Läden mit orientalischen Namen trägt diesem Vierteil im Volksmund den Namen "Klein-Istanbul" ein..


.

Zur Erinnerung, Apo heisst "außerparlamentarisch Opposition", war zu 68er-Zeiten sehr beliebt und vertrieb oder sorgte für – je nach der Seite, auf der man stand – Kopfschmerzen, die nun durch die Neben-, Haupt- und Placebowirkungen offizieller pharmazeutischer Handelsprodukte erzeugt oder gelindert werden können. Rezeptfrei, ersatzweise auch per Internet erwerbbar. Wem da blau vor Augen wird, der hat einen an der Platte. Pardon, am Plattenbau. Architektur der 50er – au weia, kann das Leben grausam sein!
.

3 Bilder: Kerstin Ehmke-Putsch


.

Nein Kerstin, pfui für Deine Fotos, Solingen ist doch keine Scheiß-Stadt. Oder doch? Und wenn ja, dann aber eine fröhliche. Denn auf solch lustige Humanexkremente-Entsorgungskammern (will sagen: Dienst-WCs) schicken die Stadtwerke ihre Busfahrer und -Innen (ein Unisexklo also). Unwahr ist, dass man in den vordergründigen Papiercontainer pinkelt. Wahr dagegen, dass die Flattulenzen der gasfeder-durchgerüttelten Buslenker durchaus ans Ohr der hier derweilen auf spätere Türöffnung der Obusse wartenden Passagiere dringen können. Ist wie früher auf dem Bahnhof: dreimal Pfeifen, und der Zug fährt ab. Dreimal furzen, und der Bus ...

Dieses und nachfolgende Bilder: hgw


.

Hei, wie es funkelt, glitzert, die Sinne verwirrt und eine helle Freude ist – taghell der Boulevard, pechschwarz die Raucherlunge und hellgelb das (ohne jede Ironie) freundliche Innere der Obusse. Wer so mit dem Stangentaxi der City entgegenfährt, ahnt, dass ihn dort das pralle Leben erwartet.


.

Fleißige Bildungsbürger, diese Solinger, die bis spät in der Nacht ihr Kulturbüro, die Volkshochschule und Stadtbibliothek besuchen und nicht müde werden, sich ein humanistisches Mentalkapital stoischer Geduld zuzulegen.


.

Und wenn Kerstin meint, die Stadt als tristgraue Plattenbauorgie vorführen zu können, dann setze ich doch mal anheimelnde Gemütlichkeit dagegen. Dieses Foto ist keine hundert Schritte vom gruseligen Eternitbau entfernt (siehe oben) aufgenommen. Wieviel menschliche Wärme in Form exaustiertem Nikotin schlägt einem doch hier entgegen und lädt einen ein, vom kalten Gehweg in die warme Wirtsstube zu wechseln, damit man sich keinen Mumms holt.


.

Und auch dieser Zirkuszelt-Eingang ist doch verlockend: geschäftiges Treiben kurz vor dem Schließen der Ladenlokale. Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten sei dank sieht man nach Einbruch der Dunkelheit wenigstens neuerdings vereinzelte Gestalten im Einkaufsparadies im Herzen Solingens. Ja, so stellt man sich die Attraktivität einer weltberühmten Stadt gerne vor: Es ist die Einsamkeit des Fußgängers, der ihm die Einsicht beschert, dass es nur noch einen Platz gibt, der menschenleerer ist: Der Raum zwischen dem Andromeda-Nebel und der Galaxie XVZ-38n. Wenn die Londoner ihre überfüllte U-Bahn "The Tube" nennen, warum sollten wir unsere unerfüllte Innenstadt nicht einfach "The vacuum" nennen?


.

Solingen ist und bleibt ein Gesamtkunstwerk. Wert, es inernational auszustellen. Wer hat schon solch eine Installation zu bieten, die als "der Lichtbogen" schon Künstler wie Andy Workohol oder Josäff Boysgroup begeistert hat. Wo das Kunstwerk zu finden ist? Nun, an, in, über, neben --- ... äh ...


.

... pardon, sorry; ich habe das Bild gekippt. Ja, es ist die Treppe zum ersten Geschoss am Mummstraßen-Durchlass der Klemmts-Galllerei.


.

... wo sich im übrigen weitere Leuchtobjekte befinden, die in ihrer Kunstdimension von der Bevölkerung noch nicht in erhellendem Maße wahrgenommen wurden, was ich hiermit abzustellen gedenke.


.

Kein Ufo, kein Museum, nur ein Kunstwerk namens Haltestelle (Mummstraße).


.

Kunst kann schön sein. Oder wie Karl Valentin (bitte gesprochen: FFallentin !) einst sagte: "Kunst ist schön. Macht aber auch Arbeit." Hier einmal nicht die Mauer des Schweigens, keine Freimaurerei, auch keine chinesische Mauer, sondern schlicht und ergreifend die Fassade des Baukörpers der Clemens-Galerien.


.

So, nun ist aber wieder Zeit, nach Hause zu fahren. Der kundenorientierte Solinger Fahrplan bietet bürgerfreundliche Aspekte: in aller Ruhe, eine halbe Stunde und mehr, kann man sich die Stadt anschauen und über ps-protzende Autos sinnieren, welche unbedingt notwendig sind, um die Parkuhren zu füttern, mit deren Einnahmen dann die Verwaltung das Defizit ausgleicht, das sie ohne Kosten für den Verkehr in der Innenstadt nicht hätte ...



Was dem Buddhisten seine Gebetsmühle, ist dem Solinger sein Obus. Der in stoischer Ruhe Meditierende wird durch das Drehen der Mühle an die Vergänglichkeit der Zeit erinnert. Der Solinger wird beim Warten auf den nächsten Bus daran erinnert, dass die Zeit nur unendlich langsam vergeht ...

:
:
:
Aber so ist es eben im Leben, Zeiten kommen, Zeiten gehen, Busse kommen selten ...


.

... und Busse fahren husch wieder ab.


.

Service wird übrigens in dieser Stadt groß geschrieben. Wenn Sie nächstens, einsam, einmal telefonieren wollen oder müssen, steht stets ein Fläschlein zum Trost bereit, so dass Ihnen die Zeit nicht zu lange wird.

Übrigens:
Ich trinke Jägermeister ...
... weil ich auf Solingen scharf bin.
(Tatüüü, Tatrööö, Tataaaa)