Totterblotschen (32)

Selbstbewusstsein. Ein wunderschönes Wort. Es setzt zwei Dinge voraus: eine Meinung, denn ohne Standpunkt kein Bewusstsein, und ein klares Bild vom Ich. Man könnte auch sagen, der Identität. Und schon sind wir bei einem Wort, dass vor allem im Zusammenhang mit Integration, mit die Politik aufwühlenden Ereignissen, mit bestimmten religiösen und nationalistischen Hetz- und Hass-Eiferern und nicht zuletzt auch mit der Solinger Geschichte der letzten 100 Jahre im engen Zusammenhang steht. Was bitte ist die Identität "Solingen" – sie ist ebenso wenig definitiv definierbar wie andere volks-, völker-, staats-, religions-, sprach-, kultur- oder ethnologisch determinierte Kategorisierungen.
Identitäten, das sollten wir aus der Geschichte lernen, wechseln. Das Wesen des Ichs, das Selbstbewusstsein, darf dann der ruhende Pol sein, der alle äußeren Veränderungen übersteht – oder sich assimiliert, anpasst.

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Wieder ein Stück Solingen weg

Inge Hödt-Fuchs wohnt in der Kirschbaumer Straße. Vom Fenster aus konnte sie beobachten, wie (wieder einmal) ein Stück "altes Solingen" der Baggerschaufel zum Opfer fiel. Sicher, diese Häuser sind nicht mehr Wohnkomfort, wie wir ihn heute allen wünschen. Aber schade ist es trotzdem, dass die "tiny Gemütlichkeit", wie man auf gut englisch sagen würde, in garstigen Brocken zerfällt. Dennoch Danke für die Bilder.

Achtung, rette sich, wer kann, der Bagger kommt ...


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... und rumms, zack, krach, wumm – wir zertrümmern unser Oma ihr klein Häuschen ...


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.... kurz, aber nicht schmerzlos, ist alles vorbei und es tut sich nun eine Lücke auf. Rosaraot ist zwar dieser Kotten, aber nicht unbedingt die Zukunft, oder?!


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funstück oder Fundstück ?!

Ach, was war das Leben früher schön. In den Anfang 70er Jahren, als alle Menschen noch optimistisch waren und die Grundlage dessen legten, was man heute Spaßgesellschaft nennt. Jedenfalls hat diese Gesellschaft hier mächtig Spaß. Es sind .... na, raten Sie es? Es sind "Britt und die Triers"; heute würde man sagen eine "Coverband", die seinerzeit die angesagte «Musik-für-alle-Lebenslagen»-Combo war. Fliege war Pflicht, wenn man als anständiger Musiker gelten wollte, und für Damen das kleine Schwarze. Logisch, dass man da heute umfällt vor Lachen.


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Und ewig dreht man sich im Kreise ...

Solingen ist zwar eine so genannte kreisfreie Stadt, aber dennoch, ein paar Verkehrskreise haben wir schon (den uralten Bülowplatz oder den viel zu engen an der Mangenberger Straße); aber wesentlicher ist, hier ist gut im Kreis drehen. Schon immer und überall. Man könnte auch sagen, hier geht es rund, doch andererseits, hier wird einem auch schwindelig. Kerstin Ehmke-Putsch entdeckte dieses Motiv im alten Gewerkschaftshaus an der Kölner Straße. Wie würde der echte Solinger sagen: "Da kriegste ja n Drehwurm!". Stimmt. Der Wurm ist überall drin. Und den Dreh hat nicht jeder raus.


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Einst Vielfalt, heute Einfalt ...?

Differenzierung und Einheit zugleich. Wer in Solingen 1 wohnte, war Innenstädtler, in 19 wohnten die Walder, in 11 die Ohligser und so weiter. Aber weiß denn wirklich jeder, wo einer wohnt, wenn er eine 42699 vor das Wort Solingen schreibt? Bliebe allenfalls zu definieren, früher waren wir alle 5650er, heute sind wir 426er. Das ist wie mit den Bussen. Ich fahr immer noch mit der 4, nicht mit der ... wie heißt sie denn heute, 684 oder so ähnlich? Egal, vier. Basta.


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Und als gebürtiger Höhscheider zahle ich immer noch mit diesem Geld. Basta. Schade, dass es keiner annimmt. Und außerdem: was bekommt man heute noch für 10 Pfennige, also 5 Eurocent? Noch einen Lutscher, wie früher? Oder eine Tüte Brausepulver? Oder gar ein ganzes Brötchen?! Und gar 50 Pfennig: ein ganzes, kinderbeglückendes Eishörnchen!

Das sind doch frohe Botschaften. Lasst uns wieder zurückkehren zu den alten bescheidenen Beträgen. Ich meine, wenn dann mal wieder ein Wirtschaftsboss den Staat oder die Arbeiter mittels Steuerflucht oder Abfindungsraubgeld bescheisst, klingt selbst das harmloser. Etliche Millionen zu unterschlagen, das ist so peinlich. Ein paar zehntausend mitgehen lassen, nun ja, was solls, man will ja nicht kleinlich sein.

Tatü-tata, trarie-trara.


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Ein Höhscheider in Teheran?

Apropos Höhscheid und trarie-trara, Ihr kennt ja noch den Scheels Weller, der noch vor kurzem – erst 60 Jahre her – für die FDP im Stadtrat saß und dann nach Düsseldorf und später nach Bonn ging und da irgend so ein bunter Präsident wurde, obwohl er eigentlich ja blau-gelb (FDP- und Solingen-Farben) war und deshalb konsequenterweise auch "Hoch auf dem gelben Wagen" sang. Und zwar nüchtern, nicht blau. Nicht schön, aber laut. Vor allem aber, welche Schande, nicht mit einem Solinger, sonderen einem Düsseldorfer Chor. Das war nicht nur aus Solinger Sicht unerhört, sondern das Lied wurde sogar auch noch in aller Welt gehört. Zum Beispiel, weil es der amerikanische Soldatensender im Iran der seligen Schah-Ära dudelte und ...

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IRAN ... welchem älteren Semester fallen da nicht gleich die Namen Soraya und Farah Diba ein, die schönen Frauen des verstorbenen orientalischen Potentaten Schah-in-Schah Aryamer (Kaiser, Licht der Arier!), einfacher Mohammed Reza Pahlewi genannt. Die seinerzeitige Regenbogenpresse (heute Yellow Press, seit Scheels Lied vom Gelben Waren ;-) lief auf Hochtouren. Da gab es jede Woche ein Sensationshäppchen. Der jedem Orient-Klischee, aber niemals seinem Volk gerecht werdende Potentat wurde ja bekanntermaßen 1979 aus dem Land gejagt, sein repressives Regime durch die Diktatur der Mullahs ersetzt. Man könnte auch sagen, der Teufel wurde mit Beelzebub ausgetrieben.

Der Autor Peter M. Roese hatte einen Afrika-Thriller geschrieben, und den setzte er in der Story konsequent fort. Dabei spielte der Sänger Walter Scheel zumindest eine amüsante Ouvertüre:

Es war schon verblüffend, als Anfang 1974 Walter Scheels Lied "Hoch auf dem gelben Wagen ..." auch aus den Lautsprechern im Mittleren Osten ertönte. Tatort war Teheran, das Kürzel des Senders lautete  AFN Tehran, das stand für American Forces Network (Tehran ist übrigens die englische Version von Teheran und auch in Farsi heißt es Tehran). Ein amerikanischer Soldatensender im Iran - das ist heutzutage schlichtweg unvorstellbar! Ja, die zahlreichen Militärberater aus den USA brauchten auf heimatliche Klänge nicht zu verzichten. Auch diese Militärberater spielen eine Rolle in "AFN Tehran".Tausende, vor allem junge Leute der iranischen Intelligenz, hörten den Sender ebenfalls regelmäßig, denn der AFN war seinerzeit absolutes Kultradio für diese Bevölkerungsschicht ...

Wie schrieb Walter Scheel doch Ende vergangenen Jahres an Roese: "... 'Hoch auf dem gelben Wagen' hat also wirklich eine weltweite Bekanntheit erfahren. Selbst in Teheran hat man es damals gespielt. Das Lied und die Interpretation des Düsseldorfer Männergesangsvereines mit mir, begleiten mich ein Leben lang weiter. Auch in Ihrem Roman nach Teheran. Dem Roman wünsche ich viele Leser ..." (Bundespräsident a.D. Walter Scheel 11. Dezember 2007)

Peter M. Roese ist 1944 in Erlangen (ACHTUNG: fränkisch spricht man das er-LANGEN und niemals ERRRlangen !!!) geboren, lebt heute in Lautertal an der Bergstraße (Odenwald) und hat als Techniker die Welt bereist. Aus seinen Erinnerungen und der Phantasie formte er bis dato zwei spannende Thriller, "Nigeria Connection" und "AFN Tehran". Theran ist übrigens korrekt, es fehlt kein e! Beide Bücher erschienen im Rhombos Verlag, Berlin.