Totterblotschen (35)

«Alle Räder stehen still, wenn unser starker Arm es will.» Dieses Trutz- und Trotz-Gedicht von Georg Herwegh ist durchaus charakteristisch für die Solinger Arbeiterschaft, die in den wilden Jahren der sozialen Revolutionen und des stürmischen Wachstums des industriellen Kapitalismus als "ungezügelt" galt und einen nicht unerheblichen Anteil an der Gründung von Gewerkschaften in Deutschland hat. Ein System, dass weniger aus politischem Kalkül, sondern aus der blanken Not geboren wurde, um das Überleben zu sichern. Denn die Bedingungen, die für abhängige Arbeiter vor 150, 160 Jahren galten, können wir uns heute konkret gar nicht mehr vorstellen. Ähnlich wie bei jenen Menschen, vor deren Leben wir bewusst die Augen verschließen, um nicht permanent ein schlechtes Gewissen zu haben – denn die Slums, die wir heute "weit weg" wähnen, waren einst auch in Solingen brutale Realität. Die offizielle Politik will das ganz einfach nur nicht mehr wahrhaben und daran erinnern, wie zerbrechlich der vermeindliche Zustand "Wohlstand für alle" eigentlich ist.

.

1. Mai. Zeit zum Erinnern

Als die SPD noch proletarisches Selbst-Bewusstsein hatte und der institutionalisierte "Anwalt der kleinen Leute", als "roter Filz", vornehmlich die Verflechtung mit Gewerkschaften und Genossenschaften, als Triumph des sozialen Fortschritts galt, schrieb Solingens Haus- und Hof-Historiker Heinz Rosenthal über den Ursprung des Sozialismus in Solingen und der daraus resultierenden Ideen, Organisationen und (wortwörtlich zu nehmenden) Bewegungen. Und die SPD brachte es unters Arbeiter- und sonstige Volk.

Heute, 40 Jahre später, steht die Sozialdemokratie gemessen an dem, was einst ihr Ideal war, vor einem jämmerlichen Scherbenhaufen. Kämpften die Gründer der Arbeiterbewegung und ihrer politischen Zweige einst für öffentliches Eigentum in "Volkes Hand", haben die Genossen in vielen Jahrzehnten so manche kommunalen Einrichtungen und Errungenschaften dermaßen heruntergewirtschaftet, dass sie nun das Hohelied der Privatisierung singen müssen. Aus Arbeiterliedern sind raukehlige Moritaten geworden.


.

gedruckt 1953
Ernst u. Waltr Backofen, Langenfeld (Rhld.)

Heinrich Schroth, seinerzeit SPD-Vormann, drückt aus, was im realen späteren Leben mehr Wunsch denn Wirklichkeit werden würde: Die Erinnerung an das, was die Altvorderen geleistet haben, möge Kraft geben, ihre Errungenschaften fortzuschreiben und in die Zukunft zu retten.

Diese Hoffnung ist elend zugrunde gegangen.


.

Einer der Auslösung zu sozialer Meuterei war die hemmungslose und durch Macht- wie Geldgier gleichermaßen gekennzeichnete Arroganz der Fabrikbesitzer, ihre Arbeiter nicht real, reell und gerecht zu entlohnen, sondern wie Sklaven zu behandeln und ihnen statt dessen Gutscheine in die Hand zu drücken, die sie ausschließlich für völlig überteuerte Waren in den fabrikeigenen Läden eintauschen konnten. So wurden die Arbeiter doppelt betrogen und buchstäblich wie die Sklaven Roms gehalten. Selbst Weglaufen war seinerzeit kaum "drin" – denn die erlernten Berufe konnten nur dort ausgeübt werden, wo eine strenge Zunft die allmächtige Kontrolle hatte. Und so blieb oft nur die finale Flucht, die als Auswanderungs-Welle in dieser Zeit der allgemeinen Armut Richtung Amerika anschwoll. Die, die hierblieben (oder hierbleiben mussten), lebten eher schlecht als recht.

Einst gehörten die Christians-Werke zu den Arbeitgebern, deren Mitarbeiter hungerten. Heute ist in den Christiansvillen ein nicht gerade unterpreisiges, wenngleich hervorragendes Restaurant und eine Lounge vom Modernsten – so ändern sich die Zeiten.


.

Alles andere als lustig: Kinderarbeit. Was uns heute als angeblich mündige Bürger (völlig zu recht) aufregt, war noch vor gar nicht so langer Zeit in Solingen Usus: Ausbeutung von Kindern.

Vielleicht sollten diese Relationen einmal helfen, nicht mehr so arrogant über andere Völker und Kulturen, Sitten und Ländern zu denken – wir selbst sind entwicklungsgeschichtlich vergleichsweise auch erst ein paar kurze Augenblicke die "besseren" im Sinne einer wenigstens formalen sozialen Absicherung und Freiheit. Aber Kinderarmut, die heute in riesigen Schritten auch in Solingen wieder an Boden gewinnt, ist ein gewaltiger Schritt zurück in dieses Dunkle der jüngeren Vorzeit.


.

Solinger "aufständische" Arbeiter und Arbeiterführer waren maßgeblich an vielen Gründungen und generellen Bewegungen des Ursprungs-Sozialismus und der Arbeitervereinigungen in ganz Deutschland beteiligt. Selbst den ollen Lasalle, Urvater der Arbeiterbewegung, hat man mehrfach in Solingen reden hören und einmal sogar das Reden verboten, was zu einem mächtigen politischen Krawall reichsweit führt.


.

Consum-Vereine, um die Versorgung selbst zu organisieren, das war eine der zentralen Ideen in den Frühzeiten der Arbeiterbewegung.

Schade, dass sich die Gewerkschafts- und Polit-Funktionäre in den folgenden Jahrzehnten als grandios unfähig erwiesen haben, mit Gut und Geld umzugehen. Eine Institution nach der anderen haben sie in den Sand gesetzt – man könnte fast meinen, sie waren die Lehrherren und Vorbilder der Crash-Börsianer und Poker-Banker von heute.

Bleibt zu hoffen, dass die einzige Solinger große Institution, die aus diesem Engagement der Normalbürger für ihre eigenen Belange übrig geblieben ist, der Spar- und Bauverein, nicht auch eines Tages als Hedge-Fond oder Private Equity-Opfer endet.


.

Die Solinger Gewerkschaften als selbständige Organisationen gibt es schon Jahrzehnte nicht mehr. Alles zwangs- oder vernunfts-vermengt (je nachdem, wie man es sehen will) in Großgewerkschaften und dem DGB.


.

Und damit Sie auf der Mai-Kundgebung, am Tag und zur Feier der Arbeit, auch richtig mitsingen können, hier der notwendige Text für das Erbauungslied der solidarischen Arbeiterschaft:

Und für die Linke, die ja nun politische Realität ist, der Text, den aber alle Beteiligten im Schlaf auswendig kennen. Da er ganz links ist, steht er hier mal ganz rechts.

Wie die Melodien gehen, werden Sie ja wohl noch auf der Zunge haben .... ???? !!!

Brüder, zur Sonne ...

Die Internationale

Brüder, zur Sonne, zur Freiheit,
Brüder, zum Lichte empor!
Hell aus dem dunklen Vergangnen
leuchtet die Zukunft hervor.

Seht wie der Zug von Millionen
endlos aus Nächtigem quillt,
bis ihrer Sehnsucht Verlangen
Himmel und Nacht überschwillt!

Brüder, in eins nun die Hände,
Brüder, das Sterben verlacht!
Ewig der Sklaverei ein Ende,
heilig die letzte Schlacht!

Wacht auf, verdammte dieser Erde,
die stets man noch zum Hungern zwingt!
Das Recht wie Glut im Kraterherde
nun mit Macht zum Durchbruch dringt.
Reinen Tisch macht mit dem Bedränger!
Heer der Sklaven, wache auf!
Ein Nichts zu sein, tragt es nicht länger,
alles zu werden, störmt zuhauf.

Völker, hört die Signale!
Auf, zum letzten Gefecht!
Die Internationale
erkämpft das Menschenrecht!
Völker, hört die Signale!
Auf, zum letzten Gefecht!
Die Internationale
erkämpft das Menschenrecht.

Es rettet uns kein hö´hres Wesen,
kein Gott, kein Kaiser, noch Tribun.
Uns aus dem Elend zu erlösen,
können wir nur selber tun!
Leeres Wort: des Armen Rechte!
Leeres Wort: des Reichen Pflicht!
Unmündig nennt man uns und Knechte,
duldet die Schmach nun länger nicht!

Völker, hört die Signale!
Auf, zum letzten Gefecht!
Die Internationale
erkämpft das Menschenrecht!
Völker, hört die Signale!
Auf, zum letzten Gefecht!
Die Internationale
erkämpft das Menschenrecht.

Arbeiter-Denkmal


.

Die Entlohnung der Arbeit ist DAS zentrale Thema, seit es "soziale Gerechtigkeit" gibt. Doch nicht nur, was gegeben wird, sondern vor allem, was genommen wird, ist das, was dem "Arbeiter" bleibt. Und "Arbeiter" sind ja die überwiegend meisten von uns. Egal, ob sie im Blaumann (sprich Schmutz-Schutz-Kleidung) herumlaufen oder im blauen Nadelstreifenanzug. Ob Sie mit den Händen oder dem Kopf arbeiten. Ob sie angestellt, "verbeamtet" oder "nur" "auf 400-Euro-Basis" arbeiten. Ob sie Honorar oder Provision bekommen, feste Bezüge oder variables Einkommen haben. Doch eines haben alle gemeinsam, den Feind, der Staat heißt und in Form des Finanzamtes unser aller Horror geworden ist. Nicht, weil wir die Finanzamts-Menschen nicht leiden mögen. Nein, nur das, was sie zu tun verpflichtet sind, betrachten wir mit Ärger, Sorge, Missmut und steigendem Unbehagen. Merke: Wem gegeben wird, dem wird auch genommen. Amen.

.

Neue vereinfachte Steuererklärung (StEVG, Steuer-erklärungsverein-fachungsgesetz):

§ 1 Zwangsangabe

Erklären Sie schriftlich, wieviel Geld Sie verdient bzw. eingenommen haben bzw. Ihnen zugeflossen ist. Beträge unter 100.000 Euro jährlich werden auf glatte Zehntausend-Euro-Beträge aufgerundet.

§ 2 Zwangsabgabe

Überweisen Sie den kompletten angegebenen Betrag binnen acht Tagen an das für Sie zuständige Finanzamt. Die Kosten der Überweisung trägt der Steuerpflichtige.

§ 3 Widerspruchszwecklosigkeit

Eine andere Methode ist nicht vorgesehen. Ein Widerspruch wird nicht bearbeitet.

Der Bundesfinanzminister

Hier meine ganz persönliche Steuererklärung nach der Methode Friedrich März. OK, dem schwebte sogar nur ein einziger Bierdeckel vor, aber immerhin, hier ist die Erklärung mit zwei Anlagen.

Die Deckel sind echt. Es war ein schöner Abend. Und Ihnen noch einen schönen 1. Mai – und immer viiiiiieeeellll Arbeit !